Das Spiel der Nachtigall
da ernsthaft weismachen, irgendein hergelaufener Vogelwiesner reiche auch nur im Entferntesten …«
»Das müsste Euer Gnaden doch glücklich machen«, unterbrach Judith ihn sanft, aber bestimmt. »Als unseren zukünftigen Herrscher. Oder zieht Ihr es am Ende doch vor, weiterhin Eurem Onkel hier zur Seite zu stehen?«
»Oh, ich werde die Krone Karls des Großen tragen«, gab Otto zurück. »Dessen seid gewiss.« Der Troubadour wollte zu einem neuen Lied ansetzen, doch Otto winkte ab und befahl stattdessen, dass nun etwas gespielt werden sollte, was La main chaude hieß. »Dabei legt der Herr den Kopf in den Schoß der Dame und muss erraten, wer ihn schlägt«, sagte er mit einem Augenzwinkern zu Judith und machte Anstalten, sich in ihre Richtung zu beugen.
»Dann will ich als Bräutigam mit gutem Beispiel voranschreiten«, stieß Gilles hastig hervor, sank vor Judith auf die Knie und legte seinen Kopf auf ihren Schoß, ehe Otto es tun konnte. Es war der unsinnigste Zeitvertreib für Erwachsene, von dem sie je gehört hatte, und wenn es nicht gerade ihr Schoß gewesen wäre, hätte sie es genossen, Otto geschlagen zu sehen.
»Das geht nicht«, freute sich Otto wie ein übermütiger Junge, der dabei war, einen Apfel zu stehlen. »Ihr kennt ja niemanden hier, mein Freund. Wie sollt Ihr da einen Namen erraten?«
Er ging neben Gilles auf die Knie und stieß ihn zur Seite. » So spielt man richtig«, sagte er in das Leinen von Judiths Kleid hinein. Sie hielt ihre Beine geschlossen und spürte, wie er sein Gesicht dagegen presste, um ihre Knie etwas zu öffnen, während sich hinter ihm eine Reihe von kichernden und glucksenden Höflingen aufstellte, um ihm einen Streich auf den Hintern zu versetzen, auf den Rücken oder gegen die Oberschenkel. Sie hatte an Hochzeitsfeiern in Köln teilgenommen; es hatte auch dort Spiele gegeben, deren Hauptzweck es war, Bräutigam und Braut zu necken, aber nicht so etwas. Während Otto Namen nach Namen rief und bei den wahrlich leichten Schlägen aufzuckte, wie er es nicht getan hatte, als sie sein wundes Zahnfleisch untersuchte, grub er sich tiefer und tiefer in ihren Schoß. Seine Hände umklammerten ihre Beine, ihre Hüften, ihr Gesäß. Am schlimmsten war nicht die körperliche Nähe, die er erzwang, sondern dass er wusste, wissen musste, wie widerwärtig ihr das war, und er ihre Abneigung genoss. Sie schaute in eine Ecke, um die jauchzenden Höflinge nicht zu sehen, und erblickte stattdessen ihren Onkel, der die Augen niederschlug. Das ist der Mann, den du zum König über uns alle machen willst, dachte Judith. Schau ihn dir an. Schau mich an.
»Verzeiht, aber als ungeduldiger Bräutigam will ich nicht länger auf meine Hochzeitsnacht warten«, sagte Gilles, als er bemerkte, dass Otto seine Hände unter ihr Kleid zu schieben begann, stand auf und zog Judith so rasch zur Seite, dass Otto fast zu Boden ging. »Das versteht doch sicher jeder hier?« Er wiederholte es in der Sprache Frankreichs, was Pfiffe und Jubel bei Höflingen und Gesinde auslöste. Wie Judith später erfuhr, war es hier genau wie in Köln Brauch, dass die Frauen der Gesellschaft die Braut zu Bett brachten, ihr Ratschläge für die Hochzeitsnacht erteilten und nach einer Weile der Bräutigam folgte, doch wie Otto vorhin richtig gesagt hatte, kannte sie hier niemand; alles, was die Hofgesellschaft wusste, war, dass diese Hochzeit ein Geschenk und einen Scherz des Grafen von Poitou darstellte. Daher gab es zwar ein paar enttäuschte Rufe, als Gilles sie kurzerhand hochhob und aus dem Saal trug, doch niemand machte Anstalten, sie aufzuhalten, selbst Otto nicht, der lachend und mit zuckenden Schultern auf dem Boden lag.
Als sie erst einmal den Gang erreicht hatten, setzte Gilles sie ab und reichte ihr seine Hand. »Wir sollten uns beeilen«, sagte er.
In der Nacht durfte niemand die Burg verlassen. Otto hatte einen Raum für sie herrichten lassen, doch Judith wollte keinen Moment länger bleiben. Sie liefen auf den Innenhof zu, der zum Burgtor führte; Schritte hinter ihnen stellten sich als die von Stefan heraus, der endlich etwas für sie tat, als er den Wachen Geld gab, um sie in die Stadt durchzulassen.
»Es tut mir leid«, sagte Gilles noch einmal, während sie durch die Nacht auf das Haus zuhielten, in dem sie die letzten drei Tage verbracht hatten.
»Ihr seid der Einzige hier, der sich nicht entschuldigen muss«, gab Judith zurück und sah ihren Atem in der Kälte der Nacht zu Nebel werden. Um die Burg
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