Das Spiel der Nachtigall
würde.
»Die Dame Richildis hat mich gebeten, sie heute noch einmal zu besuchen«, log sie, raffte ihren Mantel und ihre Arzneitasche und verließ das Haus, so schnell sie konnte.
* * *
Wenn man von Hagenau aus den Weg bis Ulm nahm, konnte man von dort aus auf der Donau nach Wien kommen, ohne die Alpen riskieren zu müssen; der Fluss war selbst im Januar nicht zugefroren. Walther überredete einen der Kahnschiffer, ihn gegen ein gutes Entgelt zu befördern. Bedauerlicherweise war es für den Kahnschiffer mit Münzen allein nicht getan; für das Zugeständnis, einen Monat früher als beabsichtigt zu fahren, wollte er Walthers Pelz haben.
»Soll ich erfrieren?«, protestierte Walther. Auf dem Fluss fühlte sich die Temperatur immer noch etwas kälter an als an Land.
»Du kannst ja dein Glück mit einem anderen Schiff versuchen, Herrchen, aber kaum eines ist im Januar wegen der treibenden Eisschollen aus den Nebenflüssen unterwegs.«
Walther schimpfte in Gedanken wie ein Rohrspatz auf den Herzog, der so auf die Zeit gedrängt hatte. Am Ende verblieben sie dabei, dass Walther seinen Pelz einen Teil der Reise noch tragen durfte und sich ansonsten mit Decken behalf. Der Schiffer transportierte in erster Linie Leinen und meinte augenzwinkernd, auch das könne dabei helfen, warm zu bleiben; sein Patron rechne dann aber bestimmt damit, dass er den Ballen in Wien bezahle.
Es war kein schlechtes Leben für ein paar Tage auf dem reißenden Fluss. Walther hatte Zeit, um darüber nachzudenken, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Es hätte ihn glücklich machen müssen, dass ihn jetzt die hohen Herren des Reiches empfingen, zu einem gewissen Grad ins Vertrauen zogen und sich von ihm manchmal, wie eine gelungene Wendung in einem Lied, an die richtige Stelle schieben ließen. Aber die verbrannten Dörfer zwischen Hagenau und Köln und die, deren Reste er inzwischen auf seinen Reisen immer wieder aus der Ferne hatte rauchen sehen, hatten ihn daran erinnert, dass die anstehende Königswahl kein Schachspiel war, bei dem nur Figuren aus Holz in Gefahr standen, vom Brett geworfen zu werden.
Sein Besuch in Köln hatte ihm gezeigt, dass er immer noch in der Lage war, Hirngespinsten nachzujagen. Er hatte deshalb auch das Haus von Stefan am nächsten Tag sofort wieder verlassen, ohne Weihnachten abzuwarten. Am Ende war es gut, dass Philipp ihn nach Wien geschickt hatte. Judith war verheiratet und schien glücklich. Was bedeutete es schon, dass er sich durch die Unterhaltung mit ihr lebendiger gefühlt hatte als durch sonst irgendetwas, außer vielleicht dem Verfassen eines außergewöhnlich guten Liedes? Er war kein armseliger Tropf wie in Reinmars Liedern, der damit zufrieden war, aus der Ferne zu schmachten, und eine Nähe zu Judith konnte es nicht geben, es sei denn, er zerstörte das neue Leben, das sie sich aufgebaut hatte. Und für was? Er wusste noch nicht einmal, ob sie mehr für ihn empfand als alten Groll und einen flüchtigen Augenblick der Nähe, der in ihren letzten Worten durchgeklungen war.
Dann wieder dachte er daran, wie sich ihr Körper in seinen Armen angefühlt hatte, damals in Nürnberg, und wie sie stets jeder seiner Bemerkungen einen Gegenpart bot. Doch, er war sich sicher, dass da mehr war, mehr sein musste, und dass sie das auch spürte.
Das beste Mittel, derartige Grübeleien loszuwerden, war, einander Zoten zu erzählen. Der Schiffer kannte einige, die Walther neu waren, wie die von den Studenten, die bei dem betrügerischen Müller die Nacht verbrachten und mit der Müllerin schliefen, während er selbst, von ihnen betrunken gemacht, mit einem ausgestopften Sack im Arm schnarchte. Walther lästerte über den Erzbischof von Köln und dessen Tafelfreuden, der Schiffer schwor, den gewaltigsten Furz aller Zeiten gehört zu haben, als der Bischof von Passau einmal an ihm vorbeiritt. Doch am zweiten Tag gingen ihnen diese Geschichten aus. Stattdessen gestand der Schiffer, sich Sorgen um seine Zukunft und die seiner Familie zu machen.
»Unser Markgraf hat mit dem Herzog von Bayern und dem Kaiser selbst gestritten und ist verbannt worden. Jetzt ist er wieder zurückgekehrt, wo der Kaiser tot ist, und das heißt gewiss, dass die Fehde mit dem Herzog von Bayern erneut beginnt. Kriegsknechte trinken gerne, also versuch einmal, einen Kahn voller Weinfässer durch ein Kriegsgebiet zu lenken und am Schluss noch etwas zu besitzen. Außerdem werden alle hohen Herren nun bestimmt die Abgaben und Zölle erhöhen,
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