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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wiedersah, nachdem dieser mit wankenden Beinen in Würzburg wieder an Land gegangen war, erzählte er ihm von dem Vorfall und stellte diese Frage.
    »Vermutlich bespitzelt er den Kanzler für seinen Onkel«, sagte Walther abwesend.
    »Aber sind Kanzler und Reichshofmarschall nicht alle Verbündete und Diener von König Philipp?«
    »Ich bin nun bald zehn Jahre an verschiedenen Höfen. Wenn sie etwas gemeinsam haben, dann dass jeder sich selbst als höher und wichtiger sieht als den Nächsten, Markwart.«
    »Darum hast du dich auch überschlagen, den Gatten deines Mädchens zu retten, wie?«, fragte Markwart. Walther hörte auf, zu der Magistra hinüberzuschauen, und entgegnete wütend: »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass sie nicht mein Mädchen ist!«
    »Schön. Dann lass uns ein paar Frauen suchen, wegen der du dich nicht hinterher aufführst wie ein Hengst, den der Hafer sticht«, sagte Markwart unbeeindruckt. »Bestimmt ist Würzburg groß genug dafür! Schließlich haben mir die Knechte die ganze Zeit über damit in den Ohren gelegen, dass sie fast die Hauptstadt eines Herzogtums sei.«
    »Das ist«, begann Walther und wurde abgelenkt, weil dem Bischof gerade ein Bote entgegenlief. Er kniff die Augen zusammen. »Den kenne ich. Der gehört zum Haushalt des Markgrafen von Meißen. Was macht der hier?«
    Er zog Markwart am Arm und näherte sich dem Bischof, der mit seinem Schreiber und zwei Klerikern dabei war, in eine Sänfte überzuwechseln, die man zu seinem Empfang geschickt hatte, und nun den Boten anhörte.
    »Darum bittet Euch meine Herrin«, schloss der Bote.
    »Es wird mir ein Vergnügen sein, die Markgräfin Jutta zu empfangen«, entgegnete der Bischof huldvoll. »Als Sohn Magdeburgs und ehemaliger Domherr dort fühle ich mich der alten Heimat immer noch sehr verbunden.«
    Mit Walther ging eine erstaunliche Verwandlung vor: Statt abwechselnd unzufrieden, brütend und versonnen dreinzuschauen, wirkte er jetzt ausgesprochen hinterhältig.
    »Weißt du, Markwart«, sagte er, »manchmal hast du genau die richtigen Einfälle.«
    »Dann gehen wir heute Abend auf Frauensuche, wenn du dem Bischof noch einmal vorgesungen hast?«, fragte Markwart erleichtert.
    »O nein. Ich weiß schon genau, wo ich eine Frau finde.«
    * * *
    Ein Übermaß an schwarzem Gallensaft, hatte es in Salerno geheißen, sorgt für Trauer, Neid, Begier, aber auch für Reizbarkeit und Erregbarkeit. Invidus et tristis, cupidus . Von den vier Temperamenten ist das des Cholerikers, der an zu viel schwarzem Gallensaft leidet, das verdrießlichste. Bisher hatte Judith gedacht, eine Mischung aus Sanguinikerin und Melancholikerin zu sein, aber was sie zwischen Walther und der Markgräfin beobachtete, ließ sie an ihrer Diagnose zweifeln.
    Wie sich herausgestellt hatte, befand sich Philipp bereits in Bamberg, aber dort hatte man nicht alle edlen Herren unterbringen können, die mit ihm reisten. Dass sich die Markgräfin von Meißen in Würzburg befand, lag daran, dass sie bei Philipps Reise nach Franken für ihren Vater bitten wollte, den Landgrafen Hermann; das jedenfalls war der Grund, den der Bischof seinem Hofstaat nannte. Auf Judith machte es eher den Eindruck, die Markgräfin sei hier, um sich von fahrenden Sängern anbeten zu lassen. Gut, es entsprach der Sitte, dass Walther beim Willkommensmahl des Bischofs seine Lieder an die höchstrangigste Frau richtete, und das war nun einmal die Markgräfin, die auf geradezu lächerliche Art allen Schönheitsidealen entsprach. Nicht nur konnte man ihren Augenbrauen ansehen, dass ihr Haar hellblond war, nein, sie hatte auch blaue Augen, einen üppigen roten Mund, und sie war mutig genug, um nicht nur enganliegende Ärmel, sondern auch ein solches Oberkleid zu tragen, was offenbarte, dass sie vollkommene Brüste besaß. Selbst ihre Haut hatte die Reise überstanden, ohne zu bräunen, und wirkte wie eine Mischung von Milch und Rahm, die selbst Katzen verführt hätte.
    Nichts davon sollte Judith kümmern, wenn die Markgräfin nicht so vertraut mit Walther getan hätte. Wenn sie nicht ständig mit einem kehligen Lachen auf seine Scherze geantwortet hätte. Wenn er nicht so genussvoll und übertrieben laut von der Gastfreundschaft gesprochen hätte, welche die Markgräfin ihm in Thüringen erwiesen hatte. Und dann hieß sie auch noch Jutta!
    »Warum ist denn der Markgraf nicht hier?«, fragte Judith aufgebracht. Sie saß am untersten Tischende der zweiten Tafel, wo sich die niedrigeren Ränge, aber auch

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