Das Spiel der Nachtigall
zwei Frauen befanden, welche die Markgräfin begleiteten.
»Eine Fehde mit einem Anhänger Ottos, die ausgefochten sein will. Die Markgräfin spricht für ihn, genau wie für ihren Vater. Wenn sie nicht hier wäre, dann könnte der König es missverstehen, dass der Markgraf und der Landgraf nicht zu ihm geeilt sind, nach den betrüblichen Neuigkeiten aus Rom.«
Unter anderen Umständen hätte Judith jetzt Mitgefühl für die Markgräfin empfunden. Was sie gerade gehört hatte, lief darauf hinaus, dass Jutta eine Art Geisel war. Es erinnerte sie daran, wie Gilles von ihrem Onkel benutzt wurde, nachdem Judith sich Stefans unsinnigem Esther-Einfall verweigert hatte. Außerdem bezweifelte sie, dass sich der Markgraf oder der Landgraf auch nur im mindesten von Sorge um Jutta zurückhalten ließen, etwas zu tun, was ihnen Gewinn brachte. Man hatte schon gehört, dass erzürnte Mächtige Geiseln hinrichten ließen, doch nie, wenn es sich um Frauen handelte. Wahrscheinlich rechneten sie damit, dass Philipp nichts gegen die Markgräfin unternahm, wenn er sie denn überhaupt als Geisel sah.
Aber dann hörte Judith Walther die Markgräfin ansingen. »Was schadet’s, dass man Euch begehrt?/Gedanken sind ja doch wohl frei.« Die Versuchung, Jutta zu bedauern, schwand wieder.
»Übrigens, stimmt es, dass Ihr eine Frau aus Salerno seid?«, fragte ihre Tischnachbarin.
»Ja«, sagte Judith dünnlippig.
»Dann wünscht meine Herrin Euch nach dem Mahl zu sehen. Ihr seid ohnehin im Vorzimmer ihres Gemachs untergebracht, mit uns zusammen, aber sie sucht auch Euren Rat.«
Ärztliche Pflicht war ärztliche Pflicht, also biss Judith die Zähne zusammen und nickte. Sie mahnte sich daran, Vernunft anzunehmen. Vielleicht täuschte sie sich ja auch in der Markgräfin? Walther mochte ihr den Hof machen, nicht nur, weil es der Sitte entsprach, sondern auch, um Judith vorzuführen, was sie zurückgewiesen hatte. All das Getue hieß noch lange nicht, dass die Markgräfin mehr im Sinn hatte, als einfach nur auf die Freundlichkeiten eines Sängers einzugehen. Schließlich stand Walther im Rang tief unter ihr, und diese adligen Damen waren immer sehr stolz auf ihre Abstammung. Gewiss würde es ihr nie einfallen, mehr als Worte mit ihm zu tauschen. Ja, so musste es sein. Die Markgräfin spielte nur ein Spiel; Walther war der Tor, wenn er das ernst nahm.
Mit dieser Schlussfolgerung gestärkt, fand Judith sich nach dem Gastmahl in den Gemächern ein, die man der Markgräfin zugewiesen hatte. Jemand war sogar so umsichtig gewesen, ihre Tasche mit Kräutern und Instrumenten hierherzubringen; Gilles vermutlich, der mit Markwart und Walther zusammen bei dem Schreiber und dem Hofkaplan des Bischofs untergebracht worden war.
Die Markgräfin hatte sich bereits auf das große Bett gesetzt, jedoch noch keine Anstalten gemacht, sich von ihren Damen entkleiden zu lassen. Sie begrüßte Judith huldvoll und plauderte ein wenig über Kleinigkeiten wie das Wetter, die Beschwernisse des Reisens gerade für Frauen, die sich nicht wie die Männer vor aller Augen erleichtern konnten, und fragte dann, wie lange eine Ausbildung zur Ärztin in Salerno dauert.
»Bis zu fünf Jahren«, sagte Judith, »aber da mich mein Vater bereits vieles lehrte und ich ihm lange Zeit zur Hand gegangen bin, brauchte ich nur zwei Jahre bis zu meiner Prüfung. Es ging die Rede, dass eine bestimmte Ausbildungszeit Vorschrift werden soll, aber als ich Salerno verließ, war es noch nicht so.«
»Manchmal«, erwiderte die Markgräfin versonnen, »habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre, ein Leben der Gelehrsamkeit zu führen. Doch das schien mir nur als Nonne möglich, und dazu«, sie lachte herzlich, »fühlte ich mich wahrlich nie berufen.«
Judith schluckte den Frosch in ihrer Kehle hinunter. Es war nur ein Zufall, konnte nur ein Zufall sein, dass die Markgräfin sich ausgerechnet heute und ihr gegenüber so ausdrückte.
»Keine der anderen Frauen, die gleich mir in Salerno lernten und lehrten, war geistlichen Standes«, sagte sie und hoffte, dass die höfische Rede ihren Kampf um Selbstbeherrschung verbarg.
Jutta klatschte in die Hände und teilte ihren Damen mit, sie wünsche, mit der Magistra alleine zu sein. Erst, als auch die letzte Frau verschwunden war, winkte die Markgräfin Judith näher und fragte mit gesenkter Stimme: »Stimmt es, dass es Mittel gibt, um die Empfängnis zu verhüten?«
Das war das Letzte, was Judith erwartet hatte. Sie versuchte, auf Zeit zu spielen,
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