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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Aufmerksamkeit für sich zu bekommen?
    Sie holte tief Luft. »Sechs Unzen«, sagte sie. »Und Wein, um sie hinunterzuspülen.«
    Einer der Küchenjungen drückte ihr einen Weinbeutel in die Hand, nachdem der Koch das Basilikum gewogen und geschnitten hatte. Judith verlangte nach einem Becher.
    »Ihr habt doch gesagt, es sei für die Markgräfin?«
    »Die Markgräfin bekommt nichts, das ich nicht vorher auch gekostet habe«, sagte Judith. Dann spülte sie drei Unzen Basilikum hinunter.
    * * *
    Walther war bereits auf dem Weg zum Gemach der Markgräfin, als ihm Judith entgegenkam. Sie ging so schnell, als brenne der Boden unter ihr, und in ihren Augen loderte das gleiche Feuer. Er kam nicht dazu, sich selbst zu beglückwünschen, weil sie ihn bereits an den Schultern packte und gegen die Wand stieß.
    »Wenn du mit deiner Markgräfin ins Bett gehen willst, nur zu«, stieß sie hervor. »Aber wenn du je in deinem Leben mehr als nur denselben Raum mit mir teilen willst, dann verlässt du jetzt mit mir die Burg.«
    Er könnte es länger ausreizen, dachte Walther. Er könnte sie dazu zwingen zuzugeben, dass sie eifersüchtig wie ein Kind war, dessen Spielzeug man gerade einem anderen gegeben hatte. Er könnte es sogar darauf ankommen lassen, von ihr zu fordern, ihm ihre Liebe zu gestehen. Aber er roch den Duft ihrer Haut und tat nichts davon. Nicht zuletzt, weil er ihr zutraute, es ernst zu meinen. Das Leben mochte häufig ein Glücksspiel sein, doch ein guter Spieler wusste, wann seine Stunde kam.
    Er ergriff ihre Hand und lief mit ihr in den warmen Herbstabend hinein. Der September ging bald zu Ende; es würde nicht mehr viele solche warmen Nächte geben. Der Boden war noch warm, ein Abglanz der Sonne, die den ganzen Tag geschienen hatte. Die Feste, die der Bischof bereits ausbauen ließ, lag auf einem Hügel, umgeben von Weingärten und hin und wieder einem Baum dazwischen. Unter einer Linde, die so dicht mit Blättern geschmückt war, dass man von der Feste aus im Mondlicht nichts zu ihren Füßen erkennen würde, blieben sie stehen. Judith legte den Umhang ab, den sie trug, und breitete ihn auf dem Boden aus. Es ging ihm durch den Kopf, dass er mittlerweile jedes ihrer wenigen Oberkleider kannte. Auch dieses, das sie für das Festmahl des Bischofs getragen hatte, weil es das beste war, wiewohl es wegen seiner vielen Knitter unter den Frauen am höheren Ende der Tafel für spöttische Bemerkungen gesorgt hatte. Er hingegen fand es ausgesprochen hübsch an ihr. Obwohl er vor ein paar Stunden noch voll und ganz damit beschäftigt gewesen war, seine Rache zu planen und zu genießen, war ihm durch den Kopf geschossen, dass Judith mit ihrem alten Kleid und ohne Schmuck trotzdem jede der anderen Anwesenden überstrahlte. Sollte er ihr das sagen? Vielleicht musste er dann hören, er baue nur vor, um für zukünftige Kosten nicht geradestehen zu müssen, aber sie könne selbst ihre Kleider bezahlen. Oder etwas ganz anderes. Bei ihr war er nie sicher, was ihn als Nächstes erwartete. Er wusste wahrlich nicht, wie sie ihn so verzauberte. Gewiss, die Finger waren lang und schmal, und es waren keine Narben zu erkennen von all den Instrumenten und Säuren, mit denen sie ständig hantierte. Sicher, sie hatte lange Beine, doch sie machte stets zu große Schritte für eine Frau. Ihr Busen war wohlgeformt, durchaus, doch nur von durchschnittlicher Größe. Ihr Mund dagegen war etwas zu groß, ihre braunen Augen wirkten jetzt im Dämmerlicht fast schwarz. Ihre Gesichtshälften waren nicht völlig identisch und ihr Haar mehr als ungewöhnlich. Aber irgendwie ergaben all diese kleinen Unvollkommenheiten ein Ganzes, das ihn mitten ins Herz traf, jedes Mal, wenn er sie anblickte. Er streckte die Hand aus, um sie von ihrer Kopfbinde zu befreien. Als würden ihre roten Haare das wenige Licht zu sich locken, schien nun ein herbstliches Wetterleuchten um sie zu sein.
    »Gott helfe mir«, sagte sie. »Ich glaube, ich liebe dich.«

    Später, als der aufgegangene Vollmond jede Einzelheit erkennbar machte, las sie Blätter aus ihrem Haar, die er hineinsteckte, da er darauf bestand, dass es Blumen waren, das Lächeln der Erde. »Eine Rose«, wie er sagte, »und noch eine.«
    »Böse Zungen würden behaupten, es seien Gräser und Lindenblätter«, flüsterte sie, während er sie in seinen Armen hielt.
    »Das ist das Geheimnis von uns Nachtigallen: Was auch immer wir Rose nennen, ist auch eine, wir könnten sonst doch auch nicht die Farbe des Windes

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