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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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in Eurer Nähe noch klar wahr?«
    »Wie durch einen grauen Schleier«, sagte er, und da wusste sie, dass er mit großer Sicherheit unter einer Form des Stars litt.
    »Euer Gnaden«, sagte sie, »wenn wir in Salerno wären, dann gäbe es einen Arzt, der sich auf solche Gebrechen versteht und einen Eingriff vornehmen kann. Ich selbst vermag manches, aber Augen waren nie meine Stärke. Einen solchen Eingriff kann ich nicht durchführen.«
    »Zu was seid Ihr dann gut?«, fragte er heftig. Irene legte ihm eine Hand auf den Arm.
    »Es ist möglich«, sagte sie mit gesenkter Stimme, »dass mein Bruder den Weg nach Salerno findet. Vielleicht sogar bald. Doch er wird nicht lange dort verweilen können.«
    »Das menschliche Auge ist ein Wunderwerk Gottes, aber auf einer Reise gerät rasch Staub hinein, und der quält uns, selbst, wenn das Auge gesund ist. Nach einem solchen Eingriff sollte man ein paar Wochen Zeit haben, um an einem Ort zu ruhen, einem Hospital oder in dem Gemach der alten Burg dort, das ist gleich, nur nicht auf der Straße mit all dem Staub.«
    »Wir werden darüber nachdenken«, sagte Irene. »Ihr könnt gehen.« Auf Deutsch fügte sie hinzu: »Und ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit, Magistra.«
    Ihr Bruder fiel wieder ins Griechische; es hörte sich alles andere als dankbar an, was verständlich war: Judith hatte ihm nicht eben gute Nachrichten gebracht. Sie beschloss, noch einmal in den Werken nachzuschlagen, die ihr zur Verfügung standen, doch sie kannte ihre Grenzen, und Augenoperationen waren nichts, was sie ohne gesicherte Diagnose angehen konnte.
    Wenn Alexios bald wieder in Italien sein würde, statt sich am Hof seiner Schwester von seiner Gefangenschaft zu erholen, dann konnte das eigentlich nur einen Grund haben, aber Judith verstand immer noch nicht, woher um alles in der Welt Philipp die Kriegsknechte nehmen wollte, um seinem Schwager bei der Rückeroberung eines riesigen Reiches wie Ostrom zu helfen.
    Im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Befürchtung waren Judith an Philipps Hof und an Irenes Seite nie die Patienten ausgegangen. Irene reiste nur dann nicht mit ihrem Gemahl, wenn sie hochschwanger war, was hieß, dass verwundete Ritter und Soldaten häufiger und häufiger an der Tagesordnung waren. Judith war nicht die einzige Ärztin bei Hofe, aber sie war die mit der besten Ausbildung. Nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten war es ihr durch unleugbare Leistungen gelungen, mit den beiden anderen Medicis, die einer Frau zuerst ungern Fähigkeiten zugestanden, Einklang in der Verteilung von Zeit und Aufgaben zu finden. Selbst in Salerno hatte es nicht ständig so viele neue Kampfwunden zu verarzten gegeben. Manchmal halfen alle Vorsichtsmaßnahmen nichts, und der Wundbrand setzte ein. Der Tod, den sie in Klosterneuburg zum ersten Mal miterlebt hatte, war ihr inzwischen alles andere als fremd. Sie wusste, was Krieg war; sie hatte seine Opfer unter ihren Händen bluten, zittern, brennen, eitern und erkalten gespürt. Ein paarmal war es sogar geschehen, dass ein Mann, den sie erst ein paar Wochen vorher zusammengeflickt hatte, während einer neuen Operation starb. Bei der Vorstellung, zu dem Krieg mit Otto würde nun noch ein weiterer mit Byzanz kommen, wurde ihr speiübel. Judith beschloss, den Brunnen aufzusuchen, um sich einen Eimer mit Wasser zu holen; sie hatte das Bedürfnis, sich das Gesicht zu waschen.
    Der Hof der Nürnberger Feste, in der sich Philipp derzeit aufhielt, war so geschäftig wie eh und je. Um ein Haar hätte sie den jungen Mann übersehen, der gerade sein Pferd absattelte und unendlich vertraut wirkte. Aus den Augenwinkeln heraus dachte sie für einen kurzen, entsetzlichen und doch süßen Moment, einer ihrer Brüder wäre von den Toten auferstanden, und drehte sich vollends zu dem Neuankömmling um. Dann erkannte sie ihn.
    Es war ihr Vetter Paul.
    * * *
    Wolfger von Passau hatte sich kaum verändert, aber dafür zeigten sich bei seinem Sohn graue Haare, was Walther daran erinnerte, dass sie alle älter wurden. Hugo war ihm, obwohl bestimmt etwas älter, immer jünger als er selbst vorgekommen. »Das Weihnachtsfest«, sagte Wolfger, »werde ich noch hier im Reich verbringen, aber im Frühjahr geht es über die Alpen. Was haltet Ihr davon, mich zu begleiten, Herr Walther?«
    Das kam überraschend. Der Bischof von Passau hatte ihm seine antipäpstlichen Tiraden nie vorgeworfen, und Walther war rücksichtsvoll genug, sie nicht in seiner Gegenwart zum Besten zu geben,

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