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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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schon weil Bischof Wolfger immer noch dankbar für ein Lied war und manchmal auch für eine Geschichte vom Hofe Philipps, Leopolds oder Hermanns von Thüringen. Seine Dankbarkeit drückte er in Form von Abschriften des Nibelungenlieds aus, an die Walther sonst nie gelangt wäre. Aber das war Wolfger auf dieser Seite der Alpen. Walther konnte sich nicht vorstellen, dass Wolfger in Aquileja, so viel näher an Rom, anders als nur dem Papst genehm handeln würde, und dazu gehörte gewiss nicht, einen Sänger in seinem Haus zu beherbergen, der vor allem seiner beißenden Lieder über den gegenwärtigen Papst wegen bekannt geworden war.
    »Ich frage mich, was ich Euer Gnaden nutzen könnte in einem Land, wo man Nachtigallen verspeist, anstatt sie zu füttern«, sagte er daher und fügte nicht hinzu, dass er, ganz abgesehen von allem anderen, eine solche Reise nicht alleine würde unternehmen wollen. Er und Judith lebten hin und wieder getrennt, denn sie blieb stets an der Seite der Königin. Bei einem solchen Abschied handelte es sich aber höchstens um zwei, drei Monate, wenn es ihn an einen anderen Hof trieb. Eine Reise nach Italien konnte dagegen fast ein Jahr dauern, weil er kaum sofort wieder zurückkehren würde, wenn er erst einmal dort war. Über eine so lange Zeit wollte er nicht auf sie verzichten – und da war er sich sicher, sie auch nicht auf ihn –, dafür war jeder gemeinsame Tag zu sehr ein Geschenk, das sie sich gegenseitig machten.
    Vor einigen Monaten war er wach geworden und fand sie neben sich hockend. Als er besorgt fragte, ob sie nicht schlafen könne, sagte sie: »Ich muss dich manchmal ansehen, weil ich es nicht schaffe zu verstehen, was mit mir ist. Warum bleibt diese Liebe für mich so unbegreifbar, unfassbar, so voller Geheimnisse? Kannst du mir das sagen?«
    Er machte es sich nicht leicht mit der Antwort, weil er sich diese Frage auch oft genug gestellt hatte. Sie lachten so viel miteinander, selbst in höchsten Momenten des Glücks und der Befriedigung, und doch liebte er auch die Momente, die er im tiefen Ernst mit ihr teilte, wenn es ihm wichtig war, ihre Meinung zu hören. Dies war einer davon.
    »Lass der Liebe ihre Geheimnisse, so wie dem Leben. Ist nicht das schönste Erleben das geheimnisvolle, unerwartete? Wenn wir nicht mehr staunen können über das, was überraschend auf uns zukommt, nicht mehr stutzen, was uns vom Leben an Glück alles geschenkt wird, was uns die wahre Liebe zueinander gibt, dann sind wir tot.« Am folgenden Tag war ihm aufgefallen, dass sie ihm, während sie sich liebten, ständig in die Augen sah, und er neckte sie, ob sie denn heute neugieriger sei, weil es bisher mehr sein Privileg war, ihren Körper bei der Liebe zu beobachten.
    »Augen sind die Spiegel des Glücks, des eigenen und des geschenkten. Ich möchte deine Augen sehen, um zu erkennen, dass ich dich glücklich mache, zum Erstaunen bringen kann, täglich neu, und du sollst es in den meinen sehen, deine Geschenke und meine Geschenke, auch wenn ich nicht begreifen kann, woher das Glück kommt. Aber ich habe von dir gelernt, dass man nicht alles verstehen muss.«
    So hatte er eine liebevolle, herrliche Frau bekommen, die zwar lieber ein Buch kaufte, anstatt Geld für ein neues Kleid auszugeben, aber in seinen Armen eine Sinnlichkeit entdeckte und zeigte, die ihm bei Frauen völlig neu war und ihn in ihrem Zusammenleben wunschlos glücklich hatte werden lassen.
    Andererseits war ihm bewusst, dass sie es sich manchmal wünschte, nach Salerno zurückzukehren. Nun, die Königin hatte klargemacht, dass sie Judith nach einem weiteren Abschied ohne ihre Erlaubnis nicht wieder zurücknehmen würde. Deshalb war es immer noch besser gewesen, ein Spatz in der anmutigen und wohlberingten Hand Irenes zu sein als eine Taube auf dem Dach einer Heilschule, wo Judith vielleicht wieder aufgenommen wurde, wo es aber für Walther keinen Platz gab. Er sprach die Volgare gut genug, um sich verständigen zu können, gewiss, aber er würde nie Lieder so gut in ihr verfassen können, wie es ihm in der deutschen Sprache möglich war. Sein Anspruch, der Beste zu sein, würde dort schon im Ansatz scheitern. Es war für ihn unmöglich, in Salerno zu leben, ohne mit einem Schlag auf alle seine Zuhörer zu verzichten, selbst die, welche seine Lieder von anderen Sängern hörten, alle Menschen, die seine Texte verstanden. Davor zurückzuschrecken, war nicht Eitelkeit; es ging ihm dabei um seine Luft, die er zum Atmen brauchte.
    »Herr

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