Das Spiel der Nachtigall
bedeutet, dass der Patriarch von Konstantinopel ihn zum Frühstück verspeisen wird. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, dass dieser junge Mann sich auf dem Thron halten wird, wenn wir ihn daraufsetzen, und das hat nichts mit seiner Sehkraft zu tun.«
»Deswegen habt Ihr also nicht darauf bestanden, dass er dem Papst gegenübertritt, sondern ihn schon vorab nach Salerno geschickt«, sagte Judith. »Aber Euer Gnaden, wenn Ihr die Angelegenheit für hoffnungslos haltet, warum dann überhaupt Alexios helfen? Wäre es nicht besser, wenn er hierbliebe und sein Onkel weiter auf dem Thron von Byzanz?«
»Oh, Byzanz wird angegriffen werden, so oder so. Zu viele Fürsten haben zu lange darauf gewartet, sich ein Stück von diesem saftigen Braten abzuschneiden, schon seit den Zeiten des verstorbenen Kaisers. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass die Beute auf dem Weg ins Heilige Land viele der Fürsten mehr lockt als die Aussicht auf den Himmel. Ich befürchte, es gibt auch Bischöfe, die ihre Rechte als weltliche Fürsten ernster nehmen als die Pflichten des guten Hirten, und denen ihr Geldbeutel näher ist als ihr Herz«, fügte er nachdenklich hinzu. »Die ersten Schiffe sind schon ausgelaufen. Unsere tapferen Streiter werden entweder siegen und reicher werden oder gedemütigt in die Heimat zurückkehren und ihre Wunden lecken. Im einen wie im anderen Fall bedeutet das erheblich weniger deutsche Fürsten, die bereit sind, sich für Otto oder Philipp zu schlagen. Seine Heiligkeit ist nicht gewillt, den Bann gegen Philipp aufzuheben, doch er schlägt einen einjährigen Waffenstillstand vor, wenn beide Parteien ihn als Mittler anerkennen. Und er wird die Bischöfe in ihren Ämtern bestätigen, die Philipp unterstützen.«
Wie schön für Euch und für diesen Eckbert von Andechs-Meranien, der Bamberger Bischof werden soll, dachte Walther, doch er dachte es ohne seinen gewohnten Biss; er war müde, und außerdem glaubte er Wolfger, dass dieser sich auch Frieden wünschte. Ein Jahr ohne Kämpfe im Reich war ein Jahr ohne Blutvergießen in den Dörfern, ein Jahr ohne Belagerungen und Not in den Städten, ein Jahr ohne geschliffene Burgen. Das war kein geringes Ergebnis.
Dafür würde in Byzanz Blut fließen, doch wenn Walther ehrlich war, kümmerte ihn das Schicksal der Menschen dort immer noch weniger als das der Menschen, die seine eigene Sprache redeten.
»Ich wage nicht zu hoffen, dass der Heilige Vater Herrn Botho ebenfalls in ein Hospital für Aussätzige geschickt hat«, sagte er, das Thema absichtlich wechselnd. Botho war nicht allein für das Spinnhaus verantwortlich – das war die Idee des Schreibers gewesen –, aber trotz all der Wochen spürte er die Fäuste des Bischofsmörders noch immer überall an seinem Leib. Judith meinte, auch das würde mit der Zeit vergehen, doch sie hatte nicht verbergen können, dass es bei Gilles noch nicht der Fall gewesen war, bis er sie verlassen hatte.
Wolfger hüstelte. »Der Heilige Vater hat es vorgezogen, Herrn Botho an das Vorbild König Henrys von England zu erinnern. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr morgen seiner öffentlichen Geißelung beiwohnen.«
»Nein danke«, entgegnete Walther. Mehr wollte er dazu nicht sagen, zu niemandem. Judith und er hatten bereits viel dafür ausgegeben, um herauszufinden, wer am folgenden Tag die Geißel schwingen würde, und einiges in die Wege geleitet, was weder Wolfger noch sonst jemand erfahren durfte.
Er verabschiedete sich mit dem vagen Versprechen, im Herbst, vielleicht zur Weihnachtsfeier nach Aquileja zu kommen, wenn Wolfger sie nicht anderswo verbrachte. Im Türrahmen wandte er sich noch einmal um, als ihm etwas einfiel.
»Lasst nicht alle Burgunder in Eurem Lied umkommen, Euer Gnaden. Man sollte allen Menschen Hoffnung in ihrer Misere geben. Einer sollte überleben, mindestens einer!«
* * *
Eine öffentliche Geißelung war nicht gerade das, wovon Botho von Ravensburg träumte, doch es gab Schlimmeres. Wie die meisten seines Standes war er von früher Kindheit an zum Waffendienst erzogen und abgehärtet worden. Das härene Hemd, das er dem elenden Patriarchen verdankte, war zwar teuflisch unangenehm gewesen, aber er hatte seinen Stolz gewahrt und seiner Mannhaftigkeit Ehre gemacht. Nicht anders stellte er sich die Geißelung vor. Wenn weibische Priester, Nonnen und Pilger solche Bußübungen regelmäßig vornahmen, dann würde ein echter Ritter wie er keine Miene verziehen und dadurch jedem klarmachen, dass er in Wirklichkeit
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