Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
»darf ich Euch Judith von Köln vorstellen, die danach strebt, zu den mulieres Salernitanae zu gehören und eine Magistra zu werden? Frau Judith, dies ist Herr Walther von der Vogelwiese, ein Schüler der Dichtkunst unseres teuren Herrn Reinmar.«
    Der junge Mann, der bisher immer noch blasiert dreingeschaut hatte, obwohl er sie nun sehr genau ins Auge fasste, zuckte fast unmerklich zusammen, als die Herzogin seinen Namen nannte. Entweder legte er keinen Wert darauf, ihn zu hören, oder die Herzogin hatte einen falschen Namen genannt. Gleichzeitig wurde Judith noch etwas anderes klar: Wenn die Herzogin in der Lage war, sich durch Streitereien belustigen zu lassen, statt wütend nach dem Zustand ihres mit dem Tode ringenden Gatten zu fragen, dann lag ihr dieser womöglich nicht so am Herzen, dass sie später aus Schmerz nach Sündenböcken suchen würde.
    Vielleicht täuschte Judith sich aber auch? Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater mit ihren damals noch lebenden Brüdern über das Traktat Mosche ben Maimons über das Asthma debattiert, um nicht zusammenzubrechen. Außerdem kannte sie die Herzogin nicht, noch war ihr jemals zuvor eine Dame von so hohem Rang begegnet; am Ende verhielten sich die Angehörigen des hohen Adels völlig anders?
    Die Körper der Menschen aber blieben sich gleich, das hatte Judiths Vater sie schon vor Jahren gelehrt, und ihre Zeichen waren dieselben für Bettler und Reiche, was jeder Arzt wusste. Nicht nur bei Krankheiten. Während jener Debatten nach dem Tod von Judiths Mutter war alles an ihrem Vater verkrampft gewesen. Seine Stimme hatte zwar meistens ruhig geklungen, doch sein Körper schien dabei aus nichts als angespannten Sehnen zu bestehen. Die Herzogin dagegen saß entspannt da. Wenn sie nicht die Kunst beherrschte, auch mit ihrer Haltung zu lügen, dann bereitete es ihr nicht wirklich Schmerz und Furcht, ihren Gatten dem Tode nahe zu wissen.
    »Das Huhn ist ein zutiefst missverstandener Vogel«, sagte Walther. In seiner Stimme lag Spott, aber er zwinkerte ihr auch zu, was sie ganz und gar nicht erwartet hatte. »Doch selbst seine größten Gegner müssen zugeben, dass es hin und wieder ein Korn findet. Wenn Ihr tatsächlich in der Heilkunst bewandert seid, dann werdet Ihr mir sicher zustimmen, dass derjenige am lautesten brüllt, dem man die Finger in eine offene Wunde legt. Unbetroffene Menschen dagegen pflegen das Gezwitscher von harmlosen Vögeln wie mir zu ignorieren.«
    Das war nicht nur eine gekonnte Art, nicht auf ihr Argument einzugehen, sondern sie auch durch einen rhetorischen Kunstgriff ins Unrecht zu setzen. Es machte obendrein ihren Zorn schlimmstenfalls verdächtig, bestenfalls lächerlich. Ja, sie begann, diesen Walther aus ganzem Herzen zu verabscheuen. Aber Dummheit konnte sie ihm ehrlicherweise nicht vorwerfen. Judith entschloss sich, die Taktik zu wechseln. Auf die Herzogin kam es an; sie durfte sich nicht mehr von ihr ablenken lassen. »Euer Gnaden«, sagte sie, so demütig und reuig wie möglich klingend, und sank vor der Herzogin auf die Knie, wie sich das für eine Bittstellerin gehörte, »da Graf Otto mir gegenüber damit prahlte, dass er die Ärzte schuldig am Tod Eures Gatten aussehen lassen könne, trage ich tatsächlich eine Wunde im Herzen, die mich unüberlegt sprechen lässt. Ich bete, den Ärzten möge es gelingen, Euren Gemahl zu retten, Euer Gnaden, doch nur Gott allein ist unfehlbar. Sollte es sein Wille sein, den Herzog zu sich zu nehmen, dann wäre es ein großes Unrecht, wenn jemand wie der Graf auch noch Gewinn aus diesem Unglück zöge.«
    Das war nicht genau so, wie Otto es gesagt hatte, doch Judith hatte diese neue Formulierung absichtlich gewählt. Ärzte in der Mehrzahl lenkte die Aufmerksamkeit nicht so auf ihren Vater, und der Hinweis auf Otto erinnerte die Herzogin daran, warum sie Judith eigentlich hierbehalten hatte. Vielleicht verdächtigte sie sogar diesen Walther, im Bunde mit Otto zu sein, und schickte ihn fort.
    »Der Graf von Poitou«, sagte die Herzogin kühl, »ist ein geladener Gast in diesem Herzogtum, was man von dir nicht behaupten kann. Mir scheint, du kannst deine Zunge immer noch nicht wahren.«
    Diese völlige Umkehrung dessen, was Helena vorhin gesagt hatte, kam wie ein Schwall kalten Wassers. Doch vorhin waren sie auch allein gewesen; das hätte Judith nicht vergessen dürfen. Offenbar war die Herzogin nicht gewillt, vor Zeugen etwas Ungünstiges über den Adligen zu sagen.
    »Gäste von Graf Ottos Art

Weitere Kostenlose Bücher