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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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mögen geladen worden sein, doch kann man nicht behaupten, dass sie der Einladung aus freien Stücken Folge leisteten«, warf Walther zu Judiths Überraschung ein. »Da könnte man verstehen, wenn er nur einen Nutzen für einen Arzt sieht, nämlich den, Heimweh zu heilen, doch das, so hört man, heilt bei ihm bald von selbst.«
    Leider verfing sein ablenkender Plauderton diesmal bei der Herzogin ganz und gar nicht.
    »Gab es noch etwas, das Ihr mir auszurichten habt, Herr Walther?«, fragte sie und klang mittlerweile eisig. »Sonst wüsste ich nicht, was Euch noch hier hält.«
    »Nun ja, ich wollte Euch von Eurem Kummer durch ein, zwei Lieder ablenken, und –«
    »Sehe ich aus, als ob ich Ablenkung von Euresgleichen benötige? Geht! Das gilt für Euch beide«, verkündete Helena, und ehe sie es sich versah, fand sich Judith auf dem Gang mit dem vorlauten Walther wieder, dessen Ankunft das bisschen guten Willen der Herzogin in Luft hatte aufgehen lassen.
    »Graf Otto, wie?«, fragte Walther scharf. »Wenn der Euer Gönner ist, dann weiß ich nicht, warum Ihr der Herzogin das Märchen von der Magistra aufgetischt habt.«
    Ihr Vater war noch genauso gefährdet wie vorher, und sie hatte einen Laffen am Hals, der ein gehöriges Maß Schuld an dem Rausschmiss trug und sich dazu noch in anzüglichen Bemerkungen gefiel. Judith gab ihrem dringenden Wunsch nach, holte aus und schlug ihm ins Gesicht.

Kapitel 4
    E s war alles ihre Schuld. Walther hatte geplant, die Herzogin erst ein wenig aufzuheitern und dann das Gespräch auf ihre Söhne zu lenken: was für ein Trost Leopold sein musste, wie stolz sie auf Friedrich sein konnte, etwas in der Art. Durch ihre Reaktionen wäre ihm bestimmt klargeworden, ob sie derzeit auf einen von beiden schlecht und auf den anderen besonders gut zu sprechen war. Der Klatsch, der ihm bekannt war, wusste nichts von einer Bevorzugung, doch Walther hatte auch nie sehr darauf geachtet. Reinmar, der sie nur als seine Muse auserkoren hatte, weil es üblich war, seine Lieder der höchsten Dame bei Hofe zu widmen, verbrachte viel lieber Zeit mit ihrem Gemahl und hatte über die Herzogin kaum mehr gesagt, als dass sie schön und edel sei, was so aufregend wie ein gefrorener See klang und daher nie Walthers Neugier geweckt hatte.
    Aber eine Bestätigung für seine Vermutung aus berufenem Munde hatte ihm die kleine Furie verdorben, die ihm grundlos mit der Kraft einer Waschfrau ins Gesicht schlug, was seinen Kopf zur Seite riss und seine Haut brennen ließ. Zum Glück trug sie keine Ringe, sonst hätte sie ihm die Lippe aufgerissen.
    »Das nenne ich die Hand einer Heilerin«, sagte er spöttisch, weil es ihm unmöglich war, zurückzuschlagen, und Worte ohnehin seine liebsten Waffen darstellten.
    »Das könnt Ihr auch«, gab sie zurück, nicht im mindesten beschämt, sondern genauso beißend wie er. »Manchmal ist es nötig, zuzuschlagen, um das Blut in Wallung zu bringen. Selbst bei Säuglingen.«
    »Bei Säuglingen sollten Frauen das den Hebammen überlassen und es bei Männern mit geschickter Hand tun, so dass alles wächst, was sie anfassen. Ist das nicht ihre wahre Bestimmung?«
    »Da habt Ihr recht, doch gibt es auch die hoffnungslosen Fälle, mit denen die Natur sich jenen kleinen Scherz erlaubt hat, bei dem selbst geschickte Hände nichts mehr nützen. Sicher wollt Ihr mir darüber auch noch mehr erzählen?«
    Was die hohe Kunst des Beleidigens betraf, so war sie nicht schlecht. In Gegenwart der Herzogin war sie ihm erst aufgefallen, als sie den Mund aufgemacht hatte. Anders als die üppigen Schönheiten, die er schätzte und die ihre weiblichen Reize gerne zur Geltung brachten, trug sie ein formloses Gewand, und er war unwillkürlich davon ausgegangen, dass sie das Verstecken nötig hatte. Jetzt, da er sie aus der Nähe sah, bemerkte er, dass sie zwar kein sanftmütiges Gesicht besaß, aber doch ein erstaunlich fesselndes: eine hohe Stirn, große braune Augen, die im Moment sehr zornig blitzten, und eine Nase, die ein klein wenig zur Stupsnase neigte, was zu den starken Wangenknochen einen interessanten Kontrast ergab. Ihre Augenbrauen waren gerade und dicht, nicht gewölbt und gezupft, aber das störte ihn nicht. Soweit sich bei dem unkleidsamen Kittel etwas erkennen ließ, war sie von Gott wohlwollend ausgestattet worden. Leider gingen all diese Annehmlichkeiten wie auch der großzügig geschwungene Mund mit einer bösartigen Zunge einher, und er war nicht so um weibliche Gesellschaft verlegen,

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