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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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reichverzierten Kopfreif gehalten wurde. Doch ihre Augenbrauen waren noch dicht und schwarz und gehörten zu einem angenehm wirkenden Gesicht, das vergleichsweise wenige Falten zeigte, was natürlich auch an dem sorgfältig aufgetragenem Bleiweiß liegen konnte. Dass sie einmal sehr schön gewesen sein musste, war nicht zu übersehen. Lediglich an den Lippen erkannte man, dass sie kein junges Mädchen mehr sein konnte, vor allem jetzt, da sie sich sehr skeptisch wölbten, was zeigte, wie rissig sie waren.
    »Vielleicht sollte ich mich geschmeichelt fühlen«, sagte sie, und ihrer Stimme hörte man noch schwach ihre ungarische Herkunft an, »da Graf Otto es für die Mühe wert hält, mir eine Spionin zu schicken.« Sie hob ungeduldig eine Hand, an der zahlreiche Ringe steckten. »Gib dir nicht die Mühe, zu bestreiten, dass du hier spitzeln sollst, Mädchen. Otto hat sich in den zwölf Monaten, die er nun schon an diesem Hof als Geisel weilt, noch nie die Mühe gegeben, mehr als einen höfischen Gruß an mich zu richten. Wenn ihn etwas anderes in dieser Zeit gekümmert hat als das nächste Turnier, dann ist mir das nicht aufgefallen. Du siehst also, es gibt nichts, was du mir sagen könntest, das ich glauben würde.«
    Da die Herzogin mit dieser kleinen Rede gewartet hatte, bis Otto nach seiner Vorstellung wieder mit Salomon verschwunden war, wusste Judith, dass es trotzdem etwas geben musste, was Helena von ihr wollte, sonst wäre sie sofort fortgeschickt worden. Zumindest war die Herzogin neugierig genug, um sich die Mühe dieses Wortwechsels zu machen. Angesichts dessen, was ihrem Vater drohte, galt es, jede noch so kleine Gelegenheit zu nutzen.
    »Auch nicht, wenn es nur ein Mittel ist, mit dem Ihr Eure Lippen pflegen könnt, um ihnen Glanz und Röte zu verleihen?«, fragte Judith, weil es das Erste war, das ihr einfiel, und sie nicht zögern durfte. Zeit, um nach klugen Argumenten zu grübeln, hatte sie nicht. Die Herzogin zog eine Braue in die Höhe, sagte jedoch nichts. »Nehmt entrahmten Honig, fügt etwas weiße Zaunrübe, gewöhnliche Zaunrübe und Spritzgurke hinzu, und ein klein wenig Rosenwasser. Dann lasst diese Mischung kochen, bis sie auf die Hälfte ihres Gehalts geschrumpft ist. Diese Tinktur tragt täglich auf. Sie wird die Haut Eurer Lippen kräftigen und gleichzeitig weich und geschmeidig machen. Solltet Ihr dort je unter Ausschlägen leiden, so wird die Tinktur auch dagegen helfen.«
    Nicht nur die Herzogin, sondern auch ihre Mägde und die beiden Damen, die, gemessen an ihrer Kleidung, dem Adel angehören mussten, schauten gleichzeitig verblüfft und aufrichtig interessiert drein. Eine der beiden Damen fuhr sich unwillkürlich mit den Fingern an den Mund.
    »Hmm«, machte die Herzogin. »Ist das ein jüdisches Mittel?«
    »Nein, Euer Gnaden«, entgegnete Judith und befahl sich, ruhig zu bleiben. »Es stammt aus dem Buch der Trota von Salerno über die Behandlungen für Frauen.« Ihr Vater hatte ihr erst im letzten Jahr gestattet, dieses Buch zu lesen, das er als junger Mann aus Salerno mitgebracht hatte. Einige seiner Lehrer hatten noch selbst bei Trota gelernt, und er hielt viel von ihr. Natürlich glaubte er auch, dass es Dinge gab, die zu wissen sich für Jungfrauen nicht schickten, und hätte lieber mit den Passionibus Mulierum Curandorum gewartet, bis sie verheiratet war. Da sich jedoch abzeichnete, dass er vor ihrem Studium in Salerno keinen geeigneten Ehemann für sie finden konnte, hatte er nachgegeben. Sie gut vorbereitet zu wissen, war ihm schließlich wichtiger gewesen.
    »Ich habe von den weisen Frauen aus Salerno gehört«, sagte die Herzogin langsam. »Ihr wollt also tatsächlich eine Magistra der Medizin werden? Und ich hielt das für die einzig einfallsreiche Kleinigkeit in Graf Ottos Lügen.«
    »Es ist mein größter Wunsch«, entgegnete Judith. Eigentlich wollte sie so überleiten zu der Bitte, das etwaige Dahinscheiden des Herzogs auf keinen Fall ihrem Vater zur Last zu legen, doch dazu konnte sie die Herzogin noch nicht genügend einschätzen. Am Ende würde eine solche Bitte ihr als Fluch ausgelegt werden, der den Herzog erst zu Tode brachte. Also ergänzte sie stattdessen: »Mein Vater hatte das Glück, in Salerno ausgebildet zu werden, und hat in unserer Heimatstadt Köln vielen Menschen helfen können. Ich hoffe, eines Tages in seine Fußstapfen zu treten und mich dessen würdig zu erweisen, was er mich bereits gelehrt hat.«
    »Hmm«, machte die Herzogin noch einmal,

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