Das Spiel der Nachtigall
sondern weiße Haare haben und leicht gebückt gehen, aber er war zweifellos immer noch einer der gefährlichsten Männer, die Walther kannte.
»Herr Walther, wie schön, Euch wiederzusehen. Und da dachte ich schon, Ihr wäret nicht mehr in Gnaden, nach all den bösen Worten über die deutschen Fürsten und ihre Bratenschneiderei in Byzanz.«
»Meister Stefan! Wie gut, zu wissen, dass Ihr genügend freie Zeit habt, um meine bescheidenen Lieder zu hören, anstatt nur von Ottos ständigen Nörgeleien über mehr Geld unterhalten zu werden.«
Walther war aus seinem römischen Abenteuer nicht nur mit zwei Zähnen weniger, sondern auch viel verbitterter hervorgegangen. Als ihn die Nachricht von dem unwürdigen Ausgang in Byzanz erreichte, hatte er es nicht lassen können, passende Worte darüber zu finden. Schon seit dem Gespräch mit Wolfger hatte er gewusst, dass die Angelegenheit kein gutes Ende nehmen konnte, doch das Ausmaß der Katastrophe hatte ihn tief getroffen. Außerdem war es eine Möglichkeit gewesen, seinem schwelenden Zorn Luft zu machen, Zorn auf sich selbst, weil er ausgerechnet von Botho, der wahrlich nicht intelligent war, und dem bestenfalls fleißigen Schreiber aufs Kreuz gelegt worden war, in einer Form, die ihm manchmal noch Alpträume bescherte. In seinem Kopf schrieb er die Geschichte gerne um, so, dass er selbst entkommen konnte, mit einem kühnen Spruch und einem Lächeln auf den Lippen, statt gerettet werden zu müssen, aber so war es nicht gewesen. Sich sämtliche Fürsten vorzunehmen, die sich am Bosporus nur bereichern wollten, anstatt das Heilige Land zu befreien, war eine willkommene Entschuldigung für seine bisher schärfsten Lieder gewesen, die nicht dem Papst galten.
»König Otto«, sagte Stefan voller Wohlwollen, »hat Eure Lieder ebenfalls gehört. Wenn ich mich recht erinnere, war er sehr angetan. Er fragte sich nur, was Ihr immer noch auf staufischer Seite tut. Ganz ehrlich, da wusste ich keine Antwort.«
»Ich bin auf keiner Seite. Philipp ekelt mich weniger an als andere, das ist alles«, sagte Walther kurz angebunden, und machte durch die Betonung auf andere deutlich, dass er nicht nur Otto meinte, sondern auch Stefan. Er hoffte nur, dass der Mann wenigstens nicht die Stirn hatte, Judith aufzusuchen.
»Und doch war es Philipp, der das ganze Unglück am Bosporus zu verantworten hatte«, entgegnete Stefan ungerührt.
Gewöhnlich genoss Walther einen Zweikampf mit Worten, aber gerade heute war er ungeduldig, zu erfahren, was Judith als Antwort von Irene erhalten hatte. Andererseits sollte man jemandem wie Stefan niemals den Rücken zuwenden. Also beschloss er, die Angelegenheit abzukürzen, indem er dem Herumgerede ein Ende setzte.
»Meister Stefan, wenn Ihr zu einem neuen Versuch ansetzt, mich für Otto zu werben, dann muss ich Euch sagen, dass ich es mir derzeit nicht leisten kann, Lieder für Menschen zu singen, die eindeutig auf der Verliererseite stehen. Seht Ihr, ich habe vor, zu heiraten. Wenn Ihr dagegen vorhabt, Euer Verhalten gegenüber Eurer Nichte wiedergutzumachen, dann seid Ihr eingeladen, einen Geldbeutel zu schicken. Ohne Hinweis auf den Spender.«
Stefans Mundwinkel zuckten, und er zwinkerte Walther zu. »Aber zur Taufe werde ich nicht eingeladen?«
»Zur Taufe?«, fragte Walther verwundert.
»Nun, von einem fahrenden Sänger darf man wohl keine genauen Kenntnisse des Kirchenrechts erwarten«, entgegnete Stefan gelassen. »Eine Ehe zwischen einer Jüdin und einem Christen ist nur gültig, wenn einer von beiden seine Religion wechselt. Da ich annehme, dass Ihr dergleichen nicht vorhabt …«
»Natürlich nicht«, sagte Walther ungeduldig. »Aber Judith ist getauft – schließlich war sie mit Gilles verheiratet.«
Stefan legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. Als er sich wieder beruhigt hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über die Augen. »Könnte es sein, dass Judiths Familie Dinge weiß, die sie anderen bisher vorenthalten hat?«
Walther wollte entgegnen, dass Judith ihre Familie nicht erwähnte, seit diese ihr den Dolch in den Rücken gestoßen hatte, doch die scharfe Antwort blieb ihm in der Kehle stecken, als die Bedeutung von Stefans Worten in ihn einsickerte wie Gift.
»Keine Ehe zwischen einer Jüdin und einem Nichtjuden ist je gültig, selbst wenn hundert Priester oder Rabbis ihr den Segen geben würden, was sie im Übrigen nie täten«, sagte Stefan. »Was nun Judith betrifft, es hat mich etwas Mühe gekostet, den Priester
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