Das Spiel der Nachtigall
sie es nicht tat, wusste noch nicht einmal ihr Gemahl.
Irene schaute zu der Magistra und sah, dass ihr ruhiges, selbstbeherrschtes Gesicht ein wenig zu starr geworden war. »Als ich Euch seinerzeit nach Brüssel schickte, um die Ehe zwischen Otto und Marie von Brabant zu verhindern«, sagte sie, »da wart Ihr so Feuer und Flamme, dass ich wusste: Ihr hattet weitere Gründe, die nicht die meinen waren.«
»Meine Erfahrung mit Graf Otto«, erwiderte die Magistra, »liegt nun schon ein Jahrzehnt zurück. Die Menschen verändern sich.«
»Manche zum Guten und manche zum Schlechten«, sagte Irene. »Als ich Euch das erste Mal sah, da hatte ich Angst, einen Gatten heiraten zu müssen, den ich nur hassen konnte. Das war nicht der Fall. Aber es hätte so sein können. Soll ich meiner Tochter das Schicksal geben, dem ich entkommen bin?«
Die Magistra öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, dann kniff sie die Lippen zusammen und schwieg.
»Ich weiß, dass die Entscheidung nicht meine sein wird«, sagte Irene. Beatrix war ihr erstes und ältestes Kind, das Kind, das sie mehr als die beiden Ehemänner zu einer erwachsenen Frau gemacht hatte. Natürlich hatte Philipp recht, sie hatte immer gewusst, dass Beatrix wie jede andere Frau zum Wohl und nach dem Willen ihrer Familie heiraten musste, aber trotzdem gab es etwas in ihr, das sich aufbäumte bei der Vorstellung, ihre Tochter zu einem Leben zu verurteilen wie das der Kaiserin Konstanze. »Und ich weiß, dass dadurch Hunderte, Tausende von Leben gerettet werden können, falls Otto einwilligt, also braucht Ihr mir das nicht zu erzählen, Magistra. Ihr seid meine Ärztin, also findet das Mittel, welches mein Herz beschwichtigt.«
»Ihr könntet darauf hoffen, dass Otto mit einer Braut aus England zurückkehrt oder auf dem Rückweg Marie von Brabant heiratet, denn immerhin besteht da noch ein Versprechen, ehe ihm überhaupt das Angebot Eurer Tochter unterbreitet werden kann«, sagte die Magistra nüchtern. Trotz ihrer Aufgewühltheit musste Irene lachen. Jede andere ihrer Damen hätte entweder geschworen, dass Otto sich mittlerweile zum Juwel unter den Männern entwickelt hatte, oder ihr geraten, Philipp zu bitten, nicht seine Tochter anzubieten, ganz gleich, was dabei auf dem Spiel stand; süße, nutzlose Äußerungen, die ihr nicht weiterhalfen.
»Ich habe daran gedacht, einen anderen Bräutigam vorzuschlagen«, bekannte Irene. »Aber der Einzige, bei dem es keine weiteren Verhandlungen brauchte, weil er schon einmal ein Eheangebot gemacht hat, ist ein weiterer Otto, Otto von Wittelsbach, doch der wollte nicht warten, bis Beatrix zu bluten beginnt. Außerdem steht er vom Rang tief unter ihr – er ist nur ein Vetter des bayerischen Herzogs Ludwig, Beatrix die Enkelin von Kaisern und Tochter eines Königs. Nein, es müsste jemand sein, dessen Ehe mit Beatrix mindestens genauso den Frieden im Reich sichern würde wie Otto, und da gibt es niemanden.«
»Ein Jammer, dass der Papst keinen Sohn hat«, entgegnete die Magistra trocken, was Irene daran erinnerte, dass sie keine geborene Christin war, aber mit Herrn Walther und dessen scharfer Zunge ein Herz und eine Seele. Und dann fühlte sie sich, als durchfahre ein Blitz ihren Verstand. Sie zog die Magistra an sich und umarmte sie.
»Ich wusste, dass Ihr von Gott geschickt seid, um mir und meinen Kindern Glück zu bringen!«, stieß sie hervor.
»Dann hat der Papst wirklich …«, fragte die Magistra verdutzt.
»Nein, er hat keinen Sohn, zumindest nicht, soweit ich das weiß, aber er hat einen Neffen! Wer weiß, wie lange Innozenz den Bann noch aufrechterhalten wird, denn Wolfger hat auch nicht mehr vermocht, als uns Hoffnung zu machen, dass die Freilassung des Kölner Bischofs helfen wird, aber eine Ehe, oh, eine Ehe würde das alles ändern, denn er kann seinen Neffen nicht mit der Tochter eines Gebannten verheiraten! Und ganz gleich, welche Gelübde der Papst für sich abgelegt hat, ich wette, er wird der Aussicht nicht widerstehen können, einen Verwandten auf dem Thron Karls des Großen zu sehen!«
* * *
Walther wusste, dass eine Gesandtschaft aus Köln erwartet worden war; daher kam es für ihn nicht überraschend, Judiths Onkel in der Residenz des Bischofs von Speyer zu begegnen, die dieser Philipp für die Dauer seines Aufenthalts zur Verfügung gestellt hatte. Dass Stefan ihn sofort erkannte, war ein wenig verblüffender, gleichzeitig schmeichelhaft und beunruhigend. Er mochte mittlerweile keine graumelierten,
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