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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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aufzutreiben, der sie in Chinon getraut hat. Aber fest steht, dass er sie weder getauft hat noch wusste, dass sie ungetauft war, als sie mit Gilles vermählt wurde. Das habe ich sogar schriftlich und mit Siegel. Judith ist nach keinerlei Recht mit Gilles verheiratet gewesen – und glaubt mir, sie weiß das. Natürlich gibt es so etwas wie Gewohnheitskonkubinat, und es wäre nützlich, wenn ein Bischof die Ungültigkeit ihrer Trauung bestätigte, ohne dass sie den Stand ihrer Religion offenbaren müsste. Aber verheiratet war sie nie, und daher so frei wie der Wind, um andere Ehen einzugehen. Und Ihr wollt sagen, dass habt Ihr nicht gewusst, Herr Walther? Nein, so etwas aber auch … Und ich dachte immer«, schloss Stefan mit einem Seitenhieb auf eines von Walthers bekanntesten Liedern, »der, der andern Neuigkeiten bringt, das wäret Ihr.«
    * * *
    Judith hatte die Gelegenheit genutzt, im Garten ein paar Kräuter zu pflücken, um ihre Vorräte zu erneuern. Man hatte sie zunächst in Irenes Vorzimmer und Walther bei Markwart unterbringen wollen, der nun zu Philipps Stallmeistern gehörte, aber nach einem Gespräch mit dem Haushofmeister des Bischofs von Speyer und dem dringenden Hinweis, was ihr als Leibärztin der Königin zustand, hatte sie ein eigenes Zimmer erhalten, um es mit Walther zu teilen. Dorthin brachte sie die Kräuter, um sie sorgfältig auf der Fensterbank auszubreiten, ehe sie diejenigen, die sie destillieren musste, auspressen konnte.
    »Ich weiß noch, wie du das in unserem Haus getan hast«, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie wusste sofort, wem sie gehörte, auch wenn sie wünschte, es wäre nicht so.
    »Ich habe Schiwa für dich und deinen Vater gesessen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Dann fiel ihr ein, dass ihm am Ende gar nicht bekannt war, was das bedeutete: »Ihr seid tot für mich.«
    »Sag das nicht.«
    Sie dachte daran, wie es sie selbst getroffen hatte, als Rabbi Eleasar ihr den Rücken zuwandte, und er war nur ein Freund ihres Vaters gewesen, nicht wirklich Familie. Während sie weiter sorgsam Kraut um Kraut auf die Fensterbank legte, kostete es sie einiges an Selbstbeherrschung, um dafür zu sorgen, dass ihre Stimme gleichmäßig blieb. »Es war deine Wahl.«
    »Und Gilles?«, fragte Paul herausfordernd. »Ist er auch tot für dich? Soll ich ihm das ausrichten?«
    Da konnte sie nicht anders und drehte sich um. Paul stand mit verschränkten Armen vor ihr. Er füllte mit seinem Umhang und dem Lederwams, das groß wie ein Brustpanzer war, den Türrahmen fast aus.
    »Du hast«, begann sie, unterbrach sich und schalt sich töricht. »Für wie dumm hältst du mich? Das ist wieder ein Versuch, nicht wahr? Ich soll mit dir nach Köln kommen, wo angeblich Gilles auf mich wartet. Oh, ich kann es gar nicht abwarten herauszufinden, was dein Vater diesmal plant. Entführung, Mord, wofür darfst du ihm heute zur Hand gehen?«
    Man konnte sehen, dass Paul gereift war, denn er blieb ruhig, statt zu erröten oder sich gar zu verteidigen, wie er es früher sofort getan hätte. Doch vielleicht hatte seine Gelassenheit auch einen anderen Grund.
    »Nein«, sagte er. Jedes Wort war leise und bestimmt gesprochen. »Gilles ist hier. Dein Gatte. Schau, was sie aus ihm gemacht haben.« Damit trat er zur Seite, so dass sie sehen konnte, dass hinter ihm ein Knecht wartete, ein kräftiger Mann, der ihr völlig unbekannt war. Vor sich hatte dieser einen Karren stehen, und in dem Karren saß …
    Ihre Hand fuhr an ihren Mund, sie machte einen Schritt vorwärts, doch keines von beidem geschah mit Absicht.
    Judith hatte in all den Jahren viele verkrüppelte Männer gesehen; sie hatte selbst Beine vom Torso getrennt, wenn keine andere Wahl blieb. Aber der Anblick von Gilles war trotzdem etwas, als benutze jemand eine Nadel, um jede Einzelheit in ihr Auge zu gravieren.
    Das war der Mann, der einmal ihre Hand ergriffen und mit ihr aus der Burg von Chinon gelaufen war.
    Der Mann, mit dem sie ohne Leidenschaft, doch in Vertrauen und Freundschaft das Bett geteilt hatte, wie mit einem ihrer lange verstorbenen Brüder.
    Der Mann, den sie zum letzten Mal in Bamberg gesehen hatte, wo er ihr versprach, Walther entgegenzureiten, um ihn vor Botho zu beschützen.
    »Jutta?« Seine Stimme war rauher als die, welche sie in Erinnerung hatte, als habe er ihren Namen einmal zu oft geschrien. »Jutta?«
    Endlich bewegte sie sich wieder bewusst. Sie machte noch ein paar Schritte und kniete vor dem Karren nieder.
    »Erzähl Jutta, was in

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