Das Spiel der Nachtigall
auch schon groß zu feiern? Er fand es geradezu widerwärtig, wie sein Schwiegervater sich mit der ungarischen Ehe für den kleinen Ludwig großtat.
»Wenn eines der beiden Bälger stirbt, ehe sie erwachsen sind, wird er sich schön dumm vorkommen«, hatte er seiner Gemahlin gegenüber geknurrt. »Ich möchte nicht wissen, wie viel er den Andechs-Meraniern dafür gezahlt hat, dass sie diese Heirat vermittelt haben. Schließlich müssen die noch Schulden begleichen – der Bamberger Bischofssitz war garantiert sehr teuer.«
»Deine Sorge um das Leben meines kleinen Bruders ist rührend«, hatte Jutta in ihrer erzürnenden Art gesagt, die er nur nicht Hohn nennen konnte, weil an dem Wortlaut nichts auszusetzen war. »Und um die Geldmittel meines Vaters. Es wird ihm bestimmt das Herz wärmen, wenn du beides zu Weihnachten auf der Wartburg zum Ausdruck bringst.«
Als ob sie nicht auch enttäuscht war, dass sie und er nun nicht als Landgräfin und Landgraf von Thüringen enden würden! Gewiss, es war noch nicht aller Tage Abend. Kinder starben. Von seinen eigenen waren zwei tot, aber Jutta hatte ihre Pflicht getan, und vier weitere waren am Leben. Es war durchaus möglich, dass der kleine Ludwig mit seiner noch kleineren ungarischen Königstochter nicht sehr alt werden würde, aber unglücklicherweise hatte er bereits zwei Brüder und ein paar Schwestern dazu. Hermanns zweite Frau war geradezu widerwärtig fruchtbar und hatte erst in diesem Jahr einen vierten Sohn zur Welt gebracht. Es war, als ob sich alles wieder einmal gegen ihn verschworen hätte, um Dietrich das zu nehmen, was ihm zustand. Treue und Ehre lohnten sich erkennbar nicht mehr.
Dietrich hatte es nicht gehalten wie sein Schwiegervater: Er war stets bei Philipp geblieben, nachdem er einmal seinen Eid auf die staufische Seite geschworen hatte. Bei Hermann dagegen war es ein ständiger Scherz, dass seine Sänger immer darauf achtgeben mussten, als wessen treuen Vasallen sie ihn dieses Jahr zu preisen hatten, weil es so leicht war, dabei den Ereignissen hinterherzuhinken. Aber wessen Ländereien waren in all den Kriegsjahren immer größer geworden? Die Hermanns! Die Ländereien, die Dietrich nun nicht erben würde.
»Wenn dein Vater heute zur Hölle fahren würde, sollte es mir nur recht sein. Verrate mir nur einen Grund, warum ich die Weihnachtsfeiertage nicht in meinen eigenen Räumen verbringen sollte!«
Seine Gemahlin hatte ihn mit einer Miene gemustert, von der er glaubte, dass es Verachtung war. Das stand ihr nicht zu. Sie war für ihn genauso eine Enttäuschung gewesen wie ihr Vater. Gewiss, sie hatte ihm Kinder geschenkt, aber sie war nun nicht mehr das schöne Mädchen, das er geheiratet hatte. Jutta war kräftiger geworden, und ihr blondes Haar, das einmal die Farbe von reifem Weizen gehabt hatte, schimmerte bereits an manchen Stellen grau. Nicht, dass er es oft zu sehen bekam; er verbrachte nicht viel Zeit in ihrem Bett. Es gab genügend willigere, jüngere und hübschere Frauen für den Markgrafen von Meißen, und Kinder schenken konnten die ihm auch. Er hatte bereits vier uneheliche Söhne; die Töchter zählte er nicht.
Eines jedoch besaß Jutta, das musste er zugeben: einen scharfen Verstand. Deswegen war er nach all den Jahren auch widerwillig bereit, hin und wieder auf sie zu hören.
»Er hat dich eingeladen.«
»Das tut er jedes Jahr.«
»Nein«, hatte Jutta erklärt, »er bittet mich jedes Jahr, die Weihnachtsfeiertage mit ihm zu verbringen. Dich erwähnt er nie. Du gehst einfach nur davon aus, dass die Einladungen auch für dich gelten. Bis auf dieses Jahr. Da hat er ausdrücklich dich eingeladen, und das heißt, dass er dich für irgendetwas ganz Bestimmtes braucht. Es muss wichtig sein, denn sonst hätte er sich die Mühe nicht gemacht, dazu geheim, sonst hätte er dich offen auf die Wartburg gebeten oder wäre zu dir gekommen. Doch offensichtlich braucht er einen Anlass, bei dem sich keiner wundert, warum du auftauchst, denn zur Verlobungsfeier für meinen kleinen Bruder bist du nicht erschienen.«
Das war es letztendlich, was Dietrich nun auf die Wartburg getrieben hatte, obwohl er sich erst noch eine Weile zierte und sich in dem Gefühl sonnte, Hermann brauche ihn. Aber er wusste auch, dass er sich nicht zu lange darin sonnen durfte. Sein Schwiegervater war durchaus imstande, ihn ganz und gar fallenzulassen, und auch, wenn Dietrich sich sagte, dass er ihn längst nicht mehr brauchte, wollte er ihn dennoch nicht zum Feind
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