Das Spiel der Nachtigall
haben. Dazu war Thüringen zu groß, die Grafschaft Meißen noch zu klein. Außerdem war da noch die unleugbare Tatsache: Hermanns Unternehmungen hatten meist ein gewinnträchtiges Ergebnis. Wenn er wirklich Dietrich dabei brauchte, dann wäre es immerhin möglich, dass diesmal auch er einen fetten Gewinn einstrich.
Nach ihrer Ankunft auf der Wartburg mussten sie erst die verwandtschaftliche Schöntuerei hinter sich bringen, die zu allem Überfluss auch noch darin bestand, nachträglich dem kleinen Bräutigam Ludwig zu gratulieren. Immerhin war das ungarische Balg noch nicht da; seine Mutter hatte darauf gepocht, ein Säugling wäre einfach noch zu jung, um fortgegeben zu werden. Nachdem Ludwig und seine kleinen, vor Gesundheit strotzenden Brüder mit Dietrichs eigenen Sprösslingen fortgeschickt wurden, gab es immer noch keine Möglichkeit, endlich zur Sache zu kommen, weil Hermann ein Festmahl gab, was wieder eine widerwärtige Protzerei war. Andere Fürsten mochten auf die Festmähler während der Feiertage hin sparen müssen, aber nicht Hermann, o nein, Hermann verköstigte nicht nur all seine Dienstleute und den Adel der Umgebung, sondern hatte auch ein halbes Dutzend Spielleute und Sänger zu Gast, einschließlich derer, die so taten, als wären sie von Ritterstand, wie Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide. Letzterer hatte zwar den Vorzug, nie langweilig zu sein, aber Dietrich wollte endlich erfahren, warum ihn sein Schwiegervater sprechen wollte. Bei dem Loblied auf Hermann, das es irgendwie fertigbrachte, den Sänger gleichzeitig mit seinem Schwiegervater zu loben – »Ich zähl mich zu des milden Landgrafen Hofgesinde, es ist mein Brauch, dass man mich immer bei den Besten finde« –, trommelte er deshalb ungeduldig mit seinen Fingern auf den Tisch und unterhielt sich laut mit einem von Hermanns Dienstmännern, damit die Darbietung rasch ein Ende fand. Außerdem brüllte er nach mehr Wein.
Dann allerdings wurde auch seine Aufmerksamkeit durch Walthers Vortrag geweckt, weil mehr und mehr Leute an den Tafeln zu ihm, Dietrich, hinschauten, dann wieder zu Walther, dann wieder zu ihm, und leises Glucksen durch den Saal glitt, zusammen mit dem üblichen Schmatzen und Schlürfen. Dietrich lauschte dem, was Walther vortrug, um den Grund der allgemeinen Belustigung zu entdecken.
Wer Schwäch’ im Ohr als böse Krankheit hat,
Der bleib’ Thüringens Hof fern, so ist mein Rat:
Denn käm’ er dahin, er würde ganz betöret.
Auch ich drängt’ mich hin, weil ich nicht vermag:
Verzichten was der Tisch trägt, bei Nacht und am Tag.
Doch ein Wunder ist’s, dass von uns noch einer höret.
Der Landgraf ist so hochgemut,
Dass er mit stolzen Helden sein Hab vertut,
Damit jeder sein tapferer Kämpe wär’.
Mir ist sein hoher Sinn wohl kund:
Und kost’ guter Wein selbst tausend Pfund,
Da ständ’ doch keines Ritters Becher leer.
Je weiter der Sänger kam, umso mehr fühlte sich Dietrich nach Frankfurt zurückversetzt, zu jenem Hoftag, als Walther sie alle mit seinen frechen Versen über die Fürsten belustigt hatte, die den Kaiser doch zu eigenem Nutzen ins Heilige Land fahren lassen sollten. Jetzt war er noch nicht sicher, ob es Zorn oder Gelächter war, das in ihm aufwallte. Wenn er sich nicht täuschte, dann hatte der Sänger gerade die Stirn gehabt, die Tischgesellschaft, von deren Gastfreundschaft er lebte, als lärmende Säuferrunde zu bezeichnen. Eigentlich sollte ihn wirklich jemand durchprügeln. Aber andererseits war das allemal besser, als noch mehr Lobhudeleien darüber zu hören, wie wundervoll Hermann war. Außerdem, völlig unrecht hatte der Mann nicht. Es war wirklich sehr laut hier, und anders als Dietrich, der von sich behaupten konnte, wahrlich ein in Schlachten erprobter Held zu sein, waren gewiss sehr viele Angeber hier, die nur an Hermanns Reichtum teilhaben wollten. Überdies, wenn man es recht bedachte, stellte das Lied auch Hermann selbst nicht ins beste Licht: Statt den edlen, milden Fürsten aus dem ersten Lied schilderte es nun den Gastgeber einer Prasserbande. Ein Grinsen stahl sich auf Dietrichs Gesicht. Dann hieb er mit der Hand auf den Tisch und begann zu lachen, so laut, dass bald alle um ihn herum mit einfielen. Dabei lächelte Hermann sein eingeübtes Landgrafenlächeln und bedeutete Dietrich, er möge später zu seiner Kammer kommen. Dort warteten, so stellte sich heraus, nicht nur mehrere Bettpfannen auf ihn, die Hermanns Schlafstätte erwärmten, sondern auch
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