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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Unsere Leute hatten in den letzten zehn Jahren nur den Auftrag, ihm zu schaden, und haben uns selbstverständlich stets Dinge berichtet, die ihn in einem schlechten Licht zeigen. Deswegen … deswegen möchte ich, dass Ihr für mich zu Otto geht.«
    Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Judith sicher war, richtig verstanden zu haben. Irene ergriff ihre Hand.
    »Ihr habt Grund, schlecht von ihm zu denken, aber Ihr seid auch ehrlich und einer der klügsten Menschen, die ich kenne. Eurem Urteil werde ich vertrauen. Wenn Ihr von Otto zurückkehrt und mir berichtet, dass er ein besserer Mann geworden ist, dann weiß ich, dass meine Tochter eine Zukunft haben wird und ich nicht für sie fürchten muss.«
    »Und wenn ich gar nicht zurückkehre?«, fragte Judith. »Graf Otto hat mir in der Vergangenheit durchaus Grund gegeben zu glauben, er grolle mir. Mag sein, dass er Rücksicht darauf nehmen wird, dass Ihr mich geschickt habt, doch …«
    »Das dürft Ihr ihm nicht verraten!«
    Judith trat einen Schritt zurück.
    »Versteht Ihr denn nicht«, fuhr Irene fort, »genau darauf kommt es doch an. Wenn er weiß, dass ich Euch geschickt habe, dann ist Euer Besuch bei ihm kaum etwas wert. Ich will wissen, wie er eine Frau behandelt, wenn er nicht durch gutes Verhalten irgendetwas erreichen will.«
    Was Irene da verlangte, würde Judith ohne jeglichen Schutz lassen. Sie konnte sich eine ganze Reihe von Arten vorstellen, wie der Otto, dem sie damals begegnet war, eine Frau behandelte, wenn er keine Konsequenzen zu fürchten brauchte. Keine davon war auch nur im mindesten etwas, das sie erleben wollte oder das sie einer anderen Frau wünschte.
    »Ihr denkt, dass ich Euch in die Höhle des welfischen Löwen schicke, und das ist wahr. Aber ich tue es nicht nur, weil ich Euch vertraue, sondern weil ich Euch kenne. Wenn Euch Unbill trifft, Magistra, dann begegnet Ihr ihm und findet einen Ausweg. Ihr seid in der Lage, aus Stroh Gold zu spinnen. Sollte Otto Euch übelwollen, dann habt Ihr meine Erlaubnis, sofort zu entfliehen – das wird Euch gelingen, weil Ihr meine unbezwingliche Magistra seid«, sagte Irene beschwörend. Unsinnigerweise wurde Judith an Beatrix erinnert, wie sie um Lippenrot gebeten hatte, und um den Namen ihrer Freier.
    »Aber wenn ich nicht fliehen kann, wenn Ihr nichts mehr von mir hört, dann habt Ihr ebenfalls Eure Antwort über Otto«, stellte Judith fest und fragte sich, ob sie sich jemals an das Gefühl gewöhnen würde, von Menschen, an denen sie hing, benutzt zu werden. Es war bei Irene gleichzeitig schmerzhafter und leichter als bei Stefan und Paul. Leichter, weil Irene dazu erzogen worden war, von ihren Untergebenen zu erwarten, dass diese sich für sie opferten, und weil sie um ihrer Tochter willen darum bat, nicht für mehr Macht oder die vage Möglichkeit auf ein besseres Reich; schmerzhafter, weil Judith seit Bamberg begonnen hatte, an die Zuneigung zu glauben, die die Königin für sie hegte.
    »Ihr werdet entfliehen können. Es gibt drei Dinge, Judith, auf die ich in meinem Leben zu vertrauen gelernt habe, und nichts davon wurde mir in die Wiege gelegt. Das erste und wichtigste ist, dass es immer eine Hoffnung gibt, auch wenn die Lage verzweifelt scheint. Das habe ich von Euch gelernt, in Salerno. Das zweite ist, dass man Liebe auch dort finden kann, wo man sie am wenigsten erwartet. Ich hätte nie gedacht, Philipp von Hohenstaufen lieben zu können, oder daran, dass er mich lieben würde, und doch ist es so gekommen. Und das dritte ist: Meine Magistra findet immer einen Ausweg.«
    Das war entweder der größte Vertrauensbeweis, den ihr je jemand gegeben hatte, oder ein Verrat, der nur deswegen nicht der schlimmste war, weil Gilles für den von Walther an jedem Tag seines Lebens bezahlte. Judith klammerte sich an eine Nebensächlichkeit, um nicht gleich eine Antwort geben zu müssen.
    »Ihr habt mich Judith genannt.«
    »Das ist Euer Name, nicht wahr? Nicht Jutta.«
    Sie wusste nicht, von wem Irene das erfahren hatte, oder ob es einfach eine logische Schlussfolgerung war, und sie wollte es nicht wissen. Bis auf die anderen Juden in Salerno und einige Leute in Braunschweig, von denen Irene aber nichts wissen konnte, hatte sie seit ihres Vaters Tod nur Walther so genannt. Das Atmen fiel ihr unerwartet schwer.
    »Und wenn ich mit schlechten Nachrichten zurückkehre, was nützt Euch das dann?«, fragte Judith. »Glaubt Ihr wirklich, dass Euer Gemahl sein Hochzeitsangebot zurückzieht und ein weiteres

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