Das Spiel der Nachtigall
war, je offensichtlicher wurde, dass er nicht die Absicht hatte, die versprochene Ehe mit seiner Tochter Marie je Wirklichkeit werden zu lassen, konnte Hermann keine Fürsprache beim Welfen erwarten. Als wohlhabender, mächtiger Herzog war Hans von Brabant natürlich nie als Verbündeter zu verachten, doch seine Ländereien lagen viel zu weit von denen Hermanns entfernt, als dass ihm der Brabanter bei einem Rachefeldzug Philipps zu Hilfe eilen könnte.
Was aber vor allem nicht ins Bild passte, war, den Brabanter zum Frieden im Reich zu mahnen, wenn Hermann gerade die Absicht hatte, diesen zu brechen.
Ungewollt musste Walther an seine Gespräche mit Bischof Wolfger denken. Nun, er war einmal bereit gewesen, sich um des Friedens willen zurückzuhalten, was den Papst betraf. Hatte das irgendjemandem geholfen? Nein. Ein Jahr, ein einziges Jahr des Friedens hatte es gegeben, und mehr nicht. Als Walther danach seine alten Spottgesänge wiederaufnahm, war es, als sei nichts geschehen. Mittlerweile kam ihm der gesamte Krieg wie ein Tretrad mit lauter Mäusen darin vor, das sich immerzu im Kreis bewegte und aus dem es kein Entkommen gab. Er nahm es Hermann nicht übel, dass dieser nach dem Spruch lebte, jeder sei sich selbst der Nächste. Aber er fand es bedauerlich, dass der Landgraf auf seine alten Tage mit der Heuchelei anfing. Friedensmahnungen nach Brabant schicken? War das sein Ernst?
Andererseits: dringend, hatte Hermann gesagt. Noch vor dem Sommer sollte der Brabanter seine Botschaft bekommen. Dennoch wollte er keinen gewöhnlichen Boten schicken, der zwar viel schneller vorwärtskommen könnte als Walther, aber anders als ein Sänger in Brüssel Neugier auslösen würde.
Etwas roch hier faul, und es waren nicht die dunklen Ecken überall in der Burg, die zeigten, dass hier ein Hofstaat überwintert und sich erleichtert hatte; kein Wunder, dass Hermann den März schon auf einer seiner anderen Burgen verbringen wollte. Natürlich zwang niemand Walther, irgendwelche Botschaften zu überbringen. Aber seine alte Neugier, die Unfähigkeit, an einem brodelnden Kochtopf vorbeizugehen, ohne zumindest hineinzusehen oder gar selbst zu rühren, meldete sich unerwartet heftig.
»Ihr erweist mir Ehre, Euer Gnaden. Bei einem so aufmerksamen Zuhörer meiner Verse bleibt mir gar nichts anderes übrig, als auf Euren Rat zu hören und sofort nach Brüssel zu ziehen. Ich nehme nicht an, dass Ihr noch weitere Empfehlungsschreiben an andere Fürsten habt?«
Hermann lachte und schlug ihm wohlwollend auf die Schulter. »Ihr seid ein Mann nach meinem Herzen, Herr Walther. Warum mit einem Zoll zufrieden sein, wenn man eine Elle haben kann, wie? Aber nein. Wenn Ihr erst in Brüssel Euer Lied gesungen habt, dann habe ich nur noch einen Rat für Euch, und bei dem braucht Ihr kein Empfehlungsschreiben von mir.«
»Kunst kann niemand in Zoll oder Elle messen«, sagte Walther trocken. »Was das andere betrifft, so seht Ihr mich stumm vor Erwartung.«
»Ihr stumm? Das bezweifle ich. Nun, es ist höchst einfach. Kommt im Juni nach Bamberg, wenn dort Hochzeit gefeiert wird. In einem Jahr voller Hochzeiten wird das die wichtigste, glaubt mir. Wenn es je eine Feier gab, bei der alle Sänger unserer Zeit gegenwärtig sein sollten, dann diese.«
Was auch immer Hermann plante, würde also im Juni geschehen und hatte mit der Hochzeit der Staufernichte mit dem Andechs-Meranier zu tun. Es kam Walther in den Sinn, dass Hermann, der selbst für seine Sprösslinge keine Stauferbraut bekommen hatte, nicht der Erste wäre, der versuchte, durch eine Entführung neue Tatsachen zu schaffen. Bei dieser Hochzeit würde nicht nur Philipps Nichte als Braut gegenwärtig sein, sondern alle seine Töchter, genau wie ein Großteil des deutschen Adels. Die Stadt würde wieder bis zum Bersten gefüllt sein. Irene und ihre Töchter wurden natürlich gut bewacht, aber in dem Wirbel einer Hochzeit würde es für einen Mann, der es sich leisten konnte, alle und jeden zu bestechen, ein Leichtes sein, eines der Mädchen zu entführen. Und hatte er sie erst einmal in seiner Gewalt, dann gab es genügend willfährige Priester, um sie mit seinem jüngeren Sohn zu vermählen. Dann blieb Philipp nichts anderes übrig, als den Landgrafen von Thüringen als seinen lieben Verwandten zu akzeptieren, ganz gleich, wie zornig er war. Der Brabanter, der gewiss ebenfalls nach Bamberg kam, wäre sehr genehm, um Hermanns Flucht mit seiner neuen Schwiegertochter zu decken, und die
Weitere Kostenlose Bücher