Das Spiel der Nachtigall
Ihr verbannen, aber Eure Verwandten, die Euch nur Übles wollen, die nehmt Ihr in Gnaden wieder auf?«
Sie hätte sagen können, dass sie keineswegs die Absicht hatte, irgendjemanden in Gnaden wieder aufzunehmen, aber sie wollte nicht, dass Markwart sich bei Paul verplapperte; außerdem ahnte sie, dass es ihm im Grunde gleichgültig war, was sie mit ihren Verwandten tat.
Vielleicht lag es an der Begegnung mit ihrem Onkel und dem unheimlichen Gefühl, das sie erfasst hatte, als er darauf bestand, dass sie sich ähnelten, aber sie ertappte sich dabei, wie sie anfing, sich vor Markwart zu rechtfertigen. »Es geht nicht um das, was Walther mir getan hat, sondern um …«
»Jaja«, sagte Markwart, den all die verwirrenden Ereignisse über seine gewohnte Vorsicht hinausgetrieben haben mussten, »um Gilles, das weiß ich. Was geschehen ist, das tut mir auch herzlich leid. Aber es war weder Walthers Schuld noch die meine. Wir haben es nicht beabsichtigt, und wir haben nichts davon gewusst. Doch was ist mit Euch? Ihr habt es sehr wohl absichtlich getan, das könnt Ihr nicht leugnen!«
»Und was ist das?«, fragte sie, zu verblüfft, um ärgerlich zu sein.
»Walther mag ja ein Hagestolz sein, aber Euch heiraten, das wollte er immer. Und Ihr habt ständig behauptet, dass es nicht geht, weil Ihr doch mit Gilles verheiratet seid und diese Ehe erst für ungültig erklärt werden müsste. Nun, an dem Tag, als Ihr ihn hinausgeworfen habt, da hat Walther mit dem Kaplan des Königs darüber gesprochen, ob die Ehe zwischen einem Christen und einer ungetauften Jüdin gültig sein kann, und ganz ehrlich, wenn Ihr zu allem anderen auch noch ungetauft seid, dann ist er noch irrsinniger, als ich das je von ihm gedacht habe. Oder habt Ihr ihn belogen? Habt Ihr ihn alle Jahre warten lassen, weil Ihr Euch für zu gut oder zu schlau für ihn hieltet, Magistra? Wir wussten nicht, was mit Gilles geschehen ist, aber Ihr wusstet immer ganz genau, ob Ihr verheiratet seid oder nicht!« Er hatte sich in Hitze geredet, sein Kopf war krebsrot geworden. Als sie ihn schweigend anstarrte, setzte er mürrisch hinzu: »Mit Verlaub.«
Das war es. Das musste es sein, was Walther mit » was kümmert dich das? « gemeint hatte, jener Satz, von dem sie glaubte, er bewiese seine völlige Gleichgültigkeit Gilles’ Schicksal gegenüber. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass er daran, dass sie ihn im Unklaren über die Gültigkeit ihrer Ehe ließ, eine Zurückweisung für sich hatte sehen können.
Nein, das war nicht ganz richtig. Sie hatte ihn nie zurückweisen wollen, und es war einfacher gewesen, ihn weiter im Unklaren zu lassen, als darüber zu sprechen, bis sie vor wenigen Wochen nachgegeben hatte und sich einverstanden erklärte, ihre Ehe von einem christlichen Bischof für ungültig erklären zu lassen, damit sie heiraten konnten. Was in Rom geschehen war, hatte dazu beigetragen; er hätte sterben können. Außerdem war ihr bewusst geworden, wie sie das, was sie durch ihr Schweigen vermeiden wollte, weiterhin umgehen konnte: Niemand würde fragen, ob sie sich hatte taufen lassen. Sie war ja schließlich schon christlich verheiratet gewesen.
Judith hatte befürchtet, dass Walther – wenn sie ihm gestand, wie es um die Ungültigkeit ihrer ersten Ehe bestellt war – von ihr verlangen würde, sich taufen zu lassen, um sie rechtmäßig zu seiner Frau zu machen. Die Möglichkeit, dass er zum Judentum übertreten könnte, hatte sie noch nicht einmal flüchtig in Erwägung gezogen. Er mochte gegen den Papst schimpfen und wüten, aber er war ein Christ, dem man das Wort Gottesmörder bereits an der Wiege gesungen hatte. Sie lebte in so vielem wie eine Christin; die Taufe jedoch war der eine Punkt, in dem sie den Glauben und das Volk ihrer Väter nie verraten hatte, und es doch zu tun, wäre für sie einer Vernichtung ihres wahren Selbst gleichgekommen. Dieses Dilemma konnte nur in Zwist und mit einem Bruch ihrer Liebe enden, und vor die Wahl gestellt zu werden, entweder Walther oder sich selbst zu verlieren, war ein unlösbarer Zwiespalt, der ihr das Herz brechen würde, dessen war sie sich sicher gewesen. Nur deswegen hatte sie ihre Unterlassungslüge weiter und weiter bestehen lassen; ganz gleich, was Markwart jetzt sagte, die eine Lüge ließ sich nicht mit der anderen vergleichen.
»Meine Lüge hat kein Leben zerstört«, entgegnete Judith. Ihre Lippen fühlten sich taub an.
»Seid Ihr sicher?«, fragte Markwart heftig. »Mir kommt es nämlich so
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