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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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vor, als hätte jemand, der vor mir steht, kein Herz mehr!« Damit wandte er sich ab und seinem Pferd zu, um es für die Weiterreise zu satteln.

    Otto residierte dieser Tage in Schwerin. Der Weg dorthin war vor allem zu Beginn eine langwierige Angelegenheit, da es Judith schwerfiel, das Wort an Markwart oder Paul zu richten, und die Männer offensichtlich beschlossen hatten, gar nicht miteinander zu sprechen. So war sie mit ihren Gedanken und Sorgen allein, und das war keine gute Gesellschaft.
    Wenn Judith nicht an Irene und Beatrix dachte, dann war es Gilles, und wenn nicht, dann erinnerte ihr widerspenstiger Verstand sie beständig an die letzten Jahre, die sie mit Walther verbracht hatte. Sie war erleichtert, als Paul eine offenbar länger vorbereitete Rede darüber hielt, wie froh er sei, dass sie endlich zu der richtigen Seite zurückgekehrt wäre, und dass man alles, was geschehen und gesagt worden war, Vergangenheit sein lassen sollte.
    »Aber wenn du an deine Kameraden denkst, die von den Männern getötet wurden, die ich verarztet habe«, fragte sie, »was fühlst du dann?«
    »Dass es den Mistkerlen recht geschehen ist«, murmelte Markwart und bewies, dass er immerhin zuhörte. Direkt an Paul gewandt, fuhr er herausfordernd fort: »Wie fühlt man sich denn so als Knecht der Engländer? Nichts anderes seid Ihr Kölner ja. Zehn Jahre lang zu versuchen, einen Kerl auf den Thron zu setzen, der eigentlich in die Normandie oder auf die alte Nebelinsel gehört, das ist wahrlich großartig.«
    Verspätet schwante ihr, dass der sonst so zurückhaltende und zuverlässige Markwart schon seit längerem nach der Möglichkeit gesucht haben musste, seinem Groll auf sie, sich, vielleicht sogar auf Walther Luft zu machen, indem er sich prügelte. Da Judith eine Frau war, und nicht die seine, konnte er sie nicht schlagen, doch Paul kam ihm offenbar gerade recht. Binnen kurzem waren die beiden von ihren Pferden herunter in den norddeutschen Schlamm gesprungen, wo sie aufeinander einprügelten, was wegen Markwarts Größe eine einseitige Angelegenheit wurde. Immerhin zog niemand ein Messer; auch die anderen Waffen blieben an den Satteln der Pferde. Am Ende gelang es Judith, dazwischenzugehen und beide zu veranlassen weiterzureiten, nicht, ehe sie aufgeplatzte Lippen und ein blutendes Ohr versorgt hatte.
    »Man sollte meinen, Ihr hättet genug gekämpft, um Euer Leben zu verteidigen, als dass Ihr es jetzt für nichts und wieder nichts tut«, sagte sie aufgebracht und opferte etwas Branntwein, um Markwarts Lippe zu reinigen.
    »Das verstehst du nicht, Base«, entgegnete Paul. »Es ist eine Frage der männlichen Ehre.«
    Danach schlossen Paul und Markwart überraschenderweise Brüderschaft. Wann immer sie an den nächsten Abenden in einem Hospital übernachteten, fanden die beiden einen Weg, um Schenken aufzusuchen. Als sie einige Tage danach von einer kleinen Gruppe halbverhungerter Bauern überfallen wurden, die sich mit Dreschflegeln und umgebauten Sensen als Wegelagerer versuchten, wurden die zwei leicht mit ihnen fertig und schlugen sie in die Flucht.
    »Arme Schweinehunde«, sagte Paul zu Markwart, und dieser nickte.
    »Werden durch den Krieg alles verloren haben«, stellte er fest, ohne Vorwurf, weil niemand wissen konnte, ob das Dorf der Bauern von Philipps oder Ottos Anhängern verwüstet worden war. Judith dachte daran, dass ein oder zwei der Männer nur wenig älter als Beatrix zu sein schienen, und fragte sich einmal mehr, ob der Frieden im Land nicht eine unglückliche Ehe mit Otto wert war. Dann sah sie das Kind vor sich, das nie in ihrem Leben von jemandem hart angefasst worden war, erinnerte sich an Salvaggia und Lucia, als sie beide kennenlernte, biss die Zähne zusammen und ritt weiter.
    Bis sie in Schwerin eintrafen, war der Frühling weit genug fortgeschritten, dass sie ein paarmal im Freien übernachten konnten, wenn sie nicht rechtzeitig eine Herberge fanden. In der letzten Nacht war das nicht der Fall.
    »Base, meinst du nicht, du solltest dich, nun ja, etwas herrichten, ehe du deine Bitte vorträgst?«, fragte Paul.
    »Ich will Missverständnisse vermeiden«, entgegnete Judith.
    »Eines davon könnte sein, dass du eine Landstreicherin bist«, gab Paul zurück.
    Judith blickte an sich hinunter, auf ihren zerknitterten, von dem langen Ritt gezeichneten Kittel, und musste eingestehen, dass er nicht unrecht hatte. Zwischen dem bewussten Herausstellen weiblicher Reize und dem Aussehen einer Bettlerin gab es

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