Das Spiel der Nachtigall
eingehend, »stirbt nicht von den Händen einer Frau. Zumal einer alten Jüdin, die schon bessere Tage gesehen hat. Macht Euch nützlich, damit ich einen Grund habe, Euch hierzubehalten. Ich verstehe ja, dass Kölner Kaufleute manchmal sehr langsam sind mit der Ware, die sie zu liefern haben, aber wenn sie vertrocknet und überreif ist, was soll man dann anderes tun, als sie sofort zurückzuschicken?«
Irgendwo hinter ihr stieß Paul einen ächzenden Laut aus. Für sie war diese Bestätigung, dass Otto sie sehr wohl erkannt hatte, verstörend, weil ihr bewusst war, dass er in den letzten Jahren unendlich vielen Menschen begegnet sein musste. Sie hätte für ihn nicht wichtiger sein sollen als ein Dorn, der einmal in seiner linken Hand gesteckt hatte. Von Brüssel wusste er, da war sie sich sicher, von Braunschweig wahrscheinlich auch, sonst wäre es kaum zu dem Entführungsversuch gekommen, egal ob er sie jetzt als seine erste kleine Rache genussvoll für überreif erklärte. Gleichzeitig entging ihr nicht, dass er keine Anstalten machte, sie zu bedrohen, so wie es ein Botho von Ravensburg jetzt getan hätte. Otto war völlig anders. Er schuf eine Lage, in der sie ihn sogar gefährlich verletzen konnte, und hatte Lust an solchen Spielen. Wenn er sich an sie erinnerte, dann wusste er sicher durch Stefan, dass sie Irenes Leibärztin war. Was er im Sinn hatte, mochte deshalb eine Prüfung sein, vielleicht aber auch etwas viel Schlimmeres. Wollte er sie am Ende anklagen, ihn im Auftrag Irenes ermorden zu wollen, um so einen Grund zu haben, die Verhandlungen für den Frieden abzubrechen?
»Ich brauche heißes Wasser, eine Schale und ein Tuch«, sagte sie zu einem Diener und wandte sich dann wieder an Otto. »Und etwas Most für Euch. Schließlich sind Euer Gnaden in einem Alter, in dem Ihr es Euch nicht leisten könnt, auch nur einen Tropfen Flüssigkeit mehr zu verlieren als nötig. Wir wollen nicht, dass Ihr vor Schwäche zusammenbrecht, wenn Ihr das nächste Mal ein Pferd besteigt, nicht wahr? Das ist einem uns bekannten österreichischen Herzog nicht gut bekommen.«
»Euer Gnaden«, fiel Paul hastig ein, »meine Base Jutta wirft sich Euch zu Füßen. Sie würde es sich zur höchsten Ehre anrechnen, wenn Ihr ihr einen Platz an Eurem Hof gäbet, und mein Vater hatte Mitleid, da ihr an dem Ort ihrer bisherigen Verirrung Unbill droht. Deswegen sind wir hier.«
»Und ich dachte, Ihr seid hier, weil mein Onkel John, Gott verfluche ihn, mir klargemacht hat, dass er mir die Gelder streicht, wenn ich mich verheirate und Erben in die Welt setze. Die Mitgift einer uns Welfen würdigen Braut wird englische Ausgaben unnötig machen, so hat er sich ausgedrückt, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er mich lieber als Junggesellen sterben sehen will. Ihr wisst nicht zufällig, was für Gründe er dafür haben könnte? Wie ich mich erinnere, ist Euer Vater meinem teuren Onkel begegnet, als er so gütig war, zum Grab meiner Mutter nach Rouen zu pilgern.«
Eine Magd kehrte mit Schale und Tuch in den Raum zurück. »Most kommt sofort«, murmelte sie und huschte fluchtartig wieder hinaus. Judith machte Anstalten, Ottos linken Fuß von seinem Lederschuh zu befreien.
»Nein«, sagte Otto. »Ich will, dass Ihr mich an meinem Handgelenk zur Ader lasst.«
»Deswegen ist es gut, dass ich keine Baderin bin, Euer Gnaden. Das Handgelenk ist der falsche Ort. Ich kann Euch am Handballen oder am Unterarm zur Ader lassen, aber das würde Euch stören, wenn Ihr heute oder morgen noch einmal auszureiten wünscht. Das Fußgelenk ist bei weitem der günstigste Punkt, und das Fußgelenk wird es sein.«
»Wird es das«, fragte er mit zusammengekniffenen Augen.
Judith nickte.
Überraschend entspannte sich Ottos Gesicht. »Nun, Ihr habt damals genau gewusst, wie man Zähne zieht. Dann eben das Fußgelenk. Und nun verratet mir doch, Magistra, was gefällt Euch denn nicht mehr am Hof der griechischen Schnepfe?«
Sie hätte genau die gleiche Geschichte vorbringen können, die sie ihrem Onkel erzählt hatte, doch sie gestattete sich eine kleine Abänderung. Männer wie Otto, die sich selbst als die Helden der Geschichte sahen, mochten von Verrätern und Verrat ihren Gewinn ziehen, doch sie verachteten beides so sehr wie die Unterhändler und Geldgeber, die sie ständig benötigten. Ottos Worte über die Kölner Kaufleute hatten das gerade wieder deutlich gezeigt. Also sagte Judith, nachdem sie den Lederstiefel abgestreift hatte: »Ich darf Euch
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