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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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die Knechte selbst zu prügeln, was man von seinen Leuten allerdings nicht behaupten konnte. Es gab keine ständige Geliebte; hin und wieder befahl Otto eine der Mägde in sein Bett. Die erste der Frauen, der dies geschah, hatte sich etwas mehr erwartet – doch als keine Kleider, Schmuck oder ein höherer Posten im Hauswesen folgten, hatte sie sich gerächt, indem sie Herrn Ottos Geiz und seine kleine Ausrüstung bespöttelte. Wer sie verraten hatte, wollte niemand zugeben, doch man warf sie hinaus und ließ sie wegen Unzucht dazu verurteilen, vor der Kirche von Schwerin einen Tag lang Buße zu tun, nur mit einem Armesünderhemd am Leib und einer Kerze in der Hand. Das war der direkte Weg ins Hurenhaus, wenn sie sich nicht vorher für das Wasser entschieden hatte, was niemand zu sagen vermochte. Danach erzählte keine der Mägde, die Otto als Zeitvertreib dienten, auch nur die geringste Kleinigkeit von dem, was er mit ihnen im Bett tat. Allerdings erfreuten sie sich noch ihrer Gesundheit und hatten nicht den verwundeten Blick in den Augen, an den sich Judith von Salvaggia nach deren Vergewaltigungen erinnerte. Sie versuchte, das als gutes Zeichen zu nehmen.
    Dann erzählte ihr der Kaplan, der sich freute, dass er mit jemandem über die Schriften der Hildegard von Bingen sprechen konnte, dass die Gesandten des dänischen Königs nicht die Einzigen waren, auf die Otto wartete. Es war vor kurzem auch ein Bote angekommen, der den Besuch der Markgräfin von Meißen ankündigte.
    »Ich dachte, der Markgraf von Meißen kämpft für König Philipp«, sagte Judith beiläufig.
    »Ihr müsst Euch daran gewöhnen, dem Herzog von Schwaben hier nicht seinen angemaßten Titel zu geben, Magistra. Nun, es stimmt, dass der Markgraf von Meißen auf Seiten des Staufers steht, doch seine Gemahlin unternimmt wohl eine Pilgerfahrt hierher.« Er warf sich in die Brust. »Wir sind ein Bistum, müsst Ihr wissen. Die Slawen, die hier wohnten, wurden von Heinrich dem Löwen besiegt und bekehrt. Der König hat mich aus Köln mitgebracht, und ich darf hoffen, hier bald ein höheres Amt zu bekleiden, denn an der Ausbildung von hiesigen Geistlichen mangelt es etwas.«
    Die Markgräfin von Meißen mochte inzwischen längst über ihre Würzburger Enttäuschung hinweggekommen sein; Judith wollte es aber nicht darauf ankommen lassen. Dass Jutta Otto unter einem vergleichsweise lächerlichen Vorwand besuchte, mochte bedeuten, dass Dietrich von Meißen es seinem Schwiegervater gleichtun und einen Seitenwechsel versuchen wollte. Unter anderen Umständen hätte es Judith gereizt, mehr herauszufinden, doch nicht hier, nicht jetzt und nicht bei Jutta von Meißen. Außerdem hatte sie eine Meinung für Irene, die sich nicht weiter festigen musste.
    Judith stöberte Markwart auf und wies ihn an, heimlich zu packen und ihre Pferde vorzubereiten, so dass sie jederzeit Schwerin verlassen konnten.
    »Und Euer Vetter?«
    »Der deckt uns den Rückzug«, sagte Judith ausdruckslos. Das war der andere Grund, warum sie auf Pauls Begleitung bestanden hatte: Wenn er noch gesehen wurde, zum Beispiel bei Ottos Abendschmaus, bei dem er den König mit Sicherheit im Auftrag seines Vaters um vertrauliche Gespräche bitten sollte, dann würde man auch sie erst später vermissen, und sie gewannen Vorsprung. Paul war der Sohn eines wichtigen Geldgebers; selbst wenn Otto über ihr Verschwinden zornig sein und sich genarrt fühlen würde, statt nur mit den Achseln zu zucken, dann könnte er nicht mehr tun, als Paul anzubrüllen. Ein paar unangenehme Stunden konnte Stefans Sohn durchaus verkraften, nach dem, was er in Würzburg bereit gewesen war, ihr anzutun.
    Unglücklicherweise fand Ottos Mundschenk Judith und richtete ihr den Befehl König Ottos aus, die Magistra möge am abendlichen Gastmahl teilnehmen. Otto ist zwar unverheiratet, doch nicht alle seine Dienstleute und Ritter sind es, also werden wenigstens ein paar andere Frauen dort sein, beruhigte sich Judith. Doch es stellte sich heraus, dass sie sich geirrt hatte. Sie war das einzige weibliche Wesen, bis auf die Mägde, welche gerade die ersten Vorspeisen auftischten.
    »Die Magistra«, verkündete Otto, »wird uns unterhalten.«
    Paul, der am Fußende der Tafel saß, zuckte unwillkürlich zusammen und schaute elend zu ihr herüber. Immerhin zeigte es, dass er inzwischen glaubte, was sie ihm in Würzburg bezüglich Ottos an den Kopf geworfen hatte. »Sie wird uns unterhalten«, wiederholte Otto und ließ die Worte so

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