Das Spiel der Nachtigall
erwiderte Ottos Blick und begann.
Wer schlägt den Löwen, schlägt den Riesen
Wer überwindet große Helden wie diesen?
Nur jener tut es, der sich selbst bezwingt,
Und wohl in Hut all seine Kraft erbringt,
Geliehne Zucht und Scham vor Fremden
Die mögen eine Zeitlang blenden.
Wer Leidenschaften beherrschen kann,
Ist nicht nur zum Schein, der rechte Mann.
Bei der Tischrunde herrschte Schweigen. Die Ritter und Dienstleute schauten alle zu Otto, bis auf Paul, der ein, zwei Mal in die Hände klatschte, während er zu ihr hinsah, doch dann seine Hände hastig wieder sinken ließ und auf den Tisch starrte.
»Das«, sagte Otto eisig, »war kein Liebeslied.«
Judith weitete ihre Augen. »War es das nicht? Oh, dieser Schurke! Er hat mich hintergangen, Euer Gnaden. Aber ich bin eben nur eine dumme, törichte Frau. Das waren die einzigen seiner Verse, die ich mir je habe merken können. Es tut mir leid, wenn sie für Euch nicht unterhaltend waren.«
»Ihr seid in der Tat dümmer, als es erlaubt sein sollte«, brüllte Otto. »Hinaus mit Euch!«
* * *
Es war schon von weitem erkennbar, dass Philipp die Pfalz in Hagenau verlassen hatte: Nirgendwo wehten Fahnen, bis auf Walther hielt auch niemand auf die Burg zu, kein üblicher Strom von Bittstellern, Rittern und Bauern mit ihren Waren, die eine große Hofhaltung täglich anzog. Doch in Philipps Abwesenheit gab es immer noch ein paar Dienstleute, welche die Kaiserpfalz versorgten, und sie mussten wissen, wann genau der König aufgebrochen war und welchen Weg er nahm. Unglücklicherweise erwies sich, dass der angetroffene Dienstmann einer derjenigen war, der kein Bewunderer von Walthers Kunst geworden war.
»Wenn der König Euch bei der Hochzeit seiner Nichte dabeihaben wollte, dann wäret Ihr bei ihm. Keinem von uns ist entgangen, was Ihr im letzten Jahr getrieben habt, Herr Walther. Wenn Euch Herr Philipp zu geizig ist, dann gibt es genügend andere Höfe, deren Herrschaften dafür bezahlen, sich beleidigen zu lassen!« Hämisch fügte der Mann hinzu: »Oder etwa nicht?«
Es war eine starke Versuchung, zu sagen, dass Philipp und seine Anhänger zum Teufel gehen konnten und sich so ihr verdientes Schicksal selbst einbrocken würden. Aber letztendlich tat der Dienstmann nur seine Pflicht. Ohne Beweise für seine Vermutung würde er nur glauben, Walther wolle sich mit einer haarsträubenden Geschichte nur wieder bei Hofe einschmeicheln.
Es kam ihm in den Sinn, dass auch Philipp genau dies glauben mochte. Ganz zu schweigen davon, dass er sich jede Gönnerschaft in Thüringen und Brüssel verscherzte, wenn er eine solche Anschuldigung aussprach. Doch wenn er keine Namen nannte, sondern nur von namenlosen hohen Herren und unlauteren Absichten sprach, dann würde ihm erst recht niemand glauben.
Nun, er war ein Meister der Worte, und von Hagenau bis Bamberg war es noch ein weiter Weg. Lange genug, um sich Formulierungen einfallen zu lassen, die ihm kein ungläubiges Gelächter einbrachten, ihn aber auch nicht für den Rest seines Lebens verarmen ließen.
Da Philipp zu einer Feier reiste, mit seiner Gemahlin, seinen Töchtern, seiner Nichte und ihrem Gefolge, würde er noch langsamer vorwärtskommen als bei einem großen Heereszug mit voller Ausrüstung. Bestimmt nutzte er diese Gelegenheit auch, auf dem Weg so viele Orte wie möglich zu besuchen und dabei den einzig wahren König hervorzukehren, sich so den Menschen im Frieden zu zeigen, statt in ihre Städte einzufallen, um Krieg zu führen. Es musste möglich sein, ihn einzuholen, wenn Walther wusste, welchen Weg der König nahm.
Er beschloss, die Angelegenheit nun von der anderen Richtung her anzugehen. Wenn etwas geschah, dann würde es in Bamberg geschehen. Dahin würde Philipp ganz bestimmt gelangen. Also war es sinnvoll, selbst auf dem direkten Weg dorthin zu reisen. Allein mit seinem Knappen würde Walther schnell vorwärtskommen und mit Sicherheit vor dem Hof eintreffen. Dann war es vielleicht auch noch möglich, Beweise für eine Verschwörung zu sammeln, wenn es eine gab, und sie Philipp zu präsentieren. Auf jeden Fall würde es möglich sein, den Walther wohlgesinnten Haushofmeister Bischof Eckbert zu überzeugen, ihn an dem Empfangsmahl für Philipp teilnehmen zu lassen. Wenn alle Stricke rissen, konnte Walther dabei seine Warnung vorbringen – möglichst, ohne sich damit um Kopf, Kragen und zukünftiges Einkommen zu bringen.
Wenn er ein eigenes Lehen hätte, dann brauchte er sich keine Sorgen in dieser
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