Das Spiel der Nachtigall
dessen Versprechungen noch neu und glänzend sein würden, der diesmal ganz gewiss nicht im Heiligen Land war, der stand auf einmal ganz anders da. Nur nicht, wenn er dazu erst gegen Philipp Krieg führen müsste.
Die einzige Möglichkeit, wie Philipp vom Schachbrett der Macht verschwinden konnte, ohne erst auf dem Schlachtfeld besiegt zu werden, war der Tod.
Walther dachte daran, wie Konrad von Würzburg gestorben war. Der Stich eines Schwertes, und alles war vorbei gewesen. Einen Bischof zu töten war eine gotteslästerliche Sünde, fast so schlimm, wie einen gesalbten König zu töten. Aber die Verursacher hatten allen vorgemacht, dass solche Sünden nicht mit dem Tod bestraft wurden. Botho, der verwünschte Botho, war vom Papst selbst entsühnt worden, wenn auch niemand mehr mit ihm zu tun haben wollte nach seinem kindischen Spektakel bei der Geißelung.
Das sind keine Beweise, mahnte er sich. Lass deine Einbildungskraft nicht für dich Wirklichkeit sein. Entführte Bräute sind eine Sache. Das geschieht ständig. Aber einen König zu töten, das ist etwas ganz anderes. Philipp ist zweifach gesalbt und gekrönt, und in diesem Jahr wird er auch endlich den Bann loswerden, wenn die Gerüchte wahr sind. Wer einen gesalbten König anders als im Zweikampf oder auf dem Schlachtfeld tötet, der begeht den schlimmsten aller möglichen Morde. Er wird selbst bei den Feinden dieses Königs keine Gnade finden, weil sie von Stund an sonst auch um ihr eigenes Haupt fürchten müssten. Der Täter würde gebannt und für vogelfrei erklärt. Überall und jederzeit könnten er und seine Helfer ungestraft erschlagen werden.
Und doch: Botho war entsühnt worden. Diejenigen, die den Mord an Konrad in Auftrag gegeben hatten, mussten sich nicht einmal die Mühe machen, nach Rom zu pilgern. Fürsten wie Hermann von Thüringen oder Hans von Brabant würden nie selbst Hand an Philipp legen, das nicht. Aber sie mochten sehr wohl einen neuen Botho finden, der die Drecksarbeit für sie erledigte, wenn er sich Begnadigung erhoffen konnte.
Du baust einen Turm aus Vermutungen, und ohne den geringsten Beweis. Aber die Möglichkeit, dass er recht haben könnte, ließ Walther nicht mehr los. Was er mit dieser Möglichkeit anfangen sollte, wusste er nicht. Oh, er konnte sich denken, was Judith an seiner Stelle tun würde: Es würde sie nicht kümmern, ob Philipp bereit gewesen war, sie fallenzulassen, oder dass Philipp alles andere als ein unschuldiges Lamm war und dank seines Heinz von Kalden selbst eine ganze Menge Menschen auf dem Gewissen hatte. Es würde sie nicht kümmern, dass es vielleicht wirklich am besten war, wenn der Krieg im Reich durch den Verlust dieses einen Lebens beendet wurde statt durch ständig neue Metzeleien auf dem Schlachtfeld. Und wer konnte wissen, ob Hans von Brabant nicht besser als Philipp oder Otto für die Deutschen sein würde? Es gab keine boshaften Gerüchte über ihn. Er hatte sich im Heiligen Land Ruhm und Ehre erkämpft. Anders als Otto hatte er nie einen englischen König als Stütze nötig gehabt noch wie Philipp einen Kampfgiganten mit blutgierigen Verwandten. Es mochte sein, dass sich Hans von Brabant, war er einmal an der Macht, als nicht besser als Philipp oder Otto herausstellte, doch bei Gott, er konnte kaum schlechter für die deutschen Länder sein, als es diese beiden in den letzten zehn Jahren gewesen waren.
Mord ist Mord, würde Judith sagen, auf ihre selbstgerechte Weise, die so sehr der eigenen Überlegenheit vertraute, und sie würde hinzufügen, dass Walther schon zu viel durch Wegschauen und Nichthandeln hatte geschehen lassen, und ihn fragen, ob er sich denn gewünscht hätte, dass sie ihn selbst auch seinem Schicksal überlassen hätte, damals in Rom.
Vielleicht dichtete er auch zu viel? Stoff für ein neues Epos, für sein Nibelungenlied hatte er nun jedenfalls.
* * *
Das Gesinde des Grafen von Schwerin hatte seit drei Monaten mit Otto und seinen Rittern zu tun, lange genug, um sich eine Meinung zu bilden. Judith sprach mit den Küchenmädchen und den Stallknechten, dem Bader, sogar mit Ottos Kaplan. Es war nicht schwer, Vorwände dafür zu finden.
Ein Teil von ihnen war stolz, dass die Residenz ihres Grafen nun eine königliche Pfalz war, andere rümpften die Nase, weil sie sich von dem Welfen mehr Glanz und Reichtum erwartet hatten. Insgesamt galt Otto als hart, aber gerecht. Wer durch Nachlässigkeit seinen Unwillen erregte, wurde bestraft, doch er machte sich nicht die Mühe,
Weitere Kostenlose Bücher