Das Spiel der Nachtigall
Beziehung zu machen. Nicht zum ersten Mal stellte er sich sein Leben vor, wie es wohl wäre, wenn Judith ihm und er ihr immer die Wahrheit erzählt hätte. Sie war sich so gewiss gewesen, dass die Königin sich bei Philipp für ihre Bitte einsetzen würde. Von all den Dingen, die Walther bedauerte, war dies nicht das Wichtigste, aber es nagte trotzdem an ihm, besonders, wenn er mit dem Knappen in irgendwelchen Scheunen übernachten musste, wofür er allmählich wirklich zu alt wurde.
»Herr Walther«, wagte der verschüchterte Junge eines Tages zu fragen, als sie mit einer kleinen Schweineherde das Schiff bis Frankfurt teilen mussten, »Ihr wart doch schon in Bamberg dieses Jahr. Müsst Ihr denn wirklich an der Hochzeit teilnehmen? Vor allem, wenn der König Euch dort nicht haben will? Es heißt, der Hof zu Wien soll wahrhaft herrlich sein. Ihr habt ihn schon erlebt, da wäre es doch ein Leichtes …«
Walther hatte ihm nichts von seinem Argwohn, seinen Plänen, seinen Schwierigkeiten erzählt. Das hätte zu viele Erklärungen notwendig gemacht, die alle zu Judith führten, über die er mit niemandem sprechen wollte. Also sagte er nur: »Es würde mich nicht wundern, wenn der Herzog von Österreich ebenfalls an der Hochzeit teilnimmt.«
»Aber wenn nicht …«
»Mein Sohn, wenn du als Knappe beschäftigt bleiben willst, dann achte immer darauf, ob dein Herr schlechter Stimmung ist oder ob er dich um deine Meinung bittet. Ich bin vielleicht nicht mehr so jung, wie ich einmal war, aber ich kann mich nicht erinnern, das getan zu haben«, schnitt ihm Walther das Wort ab. Der Knappe schwieg daraufhin für mehrere Tage. Wenn Reinmar nun zur Rechten der Jungfrau Maria saß und keusche Lieder für die Gottesmutter sang, dann lachte er jetzt bestimmt.
Der Unterschied zwischen dem Bamberg, das Walther verlassen hatte, und dem, was er vorfand, war gewaltig. Wie sich herausstellte, waren alle Andechs-Meranier bereits eingetroffen; da die Königin von Ungarn dazugehörte, wäre bereits ihr Gefolge allein groß genug gewesen, um die Stadt zu füllen. Wenn Philipp eintraf, würde ihm die Altenburg zur Verfügung gestellt werden, die sich über der Stadt erhob, da die alte Kaiserpfalz neben dem Dom von den Ungarn in Beschlag genommen worden war. Andererseits bot just dies eine Möglichkeit für Walther, nach Hinweisen zu forschen. Die Königin von Ungarn war durchaus geneigt, sich Lieder vortragen zu lassen, zumal sie sowohl durch Hermann von Thüringen als auch durch ihre Brüder von Walther gehört hatte. Sie war eine schlanke, befehlsgewohnte Frau, der man die Geburt ihrer Tochter im letzten Jahr nicht mehr anmerkte und die Walther an die frühere Herzogin von Österreich erinnerte. Bei sich hatte sie keines ihrer eigenen Kinder, dafür aber die Tochter ihrer Schwester Hedwig, deren Patin sie war und die – wie sie bemerkte, als sie von Walther ein »bräutliches Sommerlied« verlangte – nun ebenfalls verlobt wurde: »Mit dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, also wäre eine bayerische Weise willkommen.« Sie tätschelte ihrer Nichte die Hand. »Nach all den bösen Gerüchten darüber, wie das große Haus Wittelsbach dem Haus Andechs den Rang in Bayern streitig machen will, tut es gut zu wissen, dass wir unsere Kräfte nun vereint haben.«
»Ihr meint, dass ich nach einer Stauferin die zweite Wahl bin«, murrte das Mädchen. »Tante, ich werde tun, was mir gesagt wird, aber ich brauche keine Lieder, die mir vormachen, dass der Wittelsbacher mich um meiner schönen Augen willen freit.«
Die Königin von Ungarn schaute vielsagend zu Walther.
»Wer Eure Augen nicht als Grund nähme, die Welt mit ein paar Liedern mehr zu besingen, muss blind sein«, sagte er mit dem erwarteten Kompliment und trug überzeugend genug vor, um für sich und seinen Knappen eine Schlafstelle zu verdienen. Der Haushofmeister beschied ihm, er möge sich zu den Rittern gesellen, die Bischof Eckbert seiner Schwester als zusätzliches Gefolge zur Verfügung gestellt habe.
»Hat sie denn nicht ihre eigenen Ritter dabei?«
»Natürlich, doch sie ist eine Königin, und da ziemen sich ein paar zusätzliche Ehrenwachen«, entgegnete der Haushofmeister gewichtig. Oder, dachte Walther, die Geschwister von Andechs-Meranien erwarteten Ärger. Auf jeden Fall konnte es nicht schaden, die Bamberger Ritter auszuhorchen. Einer von ihnen war ein vergnügter Mann mit rundlichem Gesicht, der sich als Oswald von Strollo vorstellte. Der andere hatte etwas vage
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