Das Spiel der Nachtigall
ohne Umschweife. Er ist der Einzige, der so viel wie wir zu verlieren hat, wenn es die Andechs-Meranier wagen, Hans von Brabant als nächsten König zu wählen. Er hat zwar kampferfahrene Leute, aber jetzt braucht er auch uns. Im nächsten Jahr vielleicht nicht mehr, aber bis dahin landen Eure Töchter und Ihr im Kloster, und ich kann mein Glück als Raubritter versuchen.«
Irene legte eine Hand auf ihren Bauch. Heinz von Kalden folgte ihrer Geste mit den Augen und schüttelte den Kopf.
»Selbst, wenn es ein Junge werden sollte, macht das keinen Unterschied. Ein Kind als König taugt nicht, das war der einzige Grund, warum Euer Gemahl die Krone überhaupt genommen hat. Schaut, es ist hart, aber noch seid Ihr Königin der Deutschen, also müsst Ihr jetzt wie eine Königin denken, nicht wie eine Witwe. Wir haben endlich die Möglichkeit, Frieden zu schließen. Die Anhänger der Staufer und Welfen zusammen, so etwas hat es nicht mehr gegeben, seit unser alter Kaiser Rotbart sich mit Heinrich dem Löwen überworfen hat. Eure Tochter wird nicht nur Königin, sondern Kaiserin werden, denn nun kann der Papst Otto zum Kaiser krönen.«
»Und mein Gemahl?«, fragte Irene leise. »Wer schafft ihm Recht?«
Heinz von Kalden ergriff ihre Hand. »Ich bin immer noch der Kämpe des Königs«, sagte er rauh. »Ich schwöre Euch, dass ich dem Wittelsbacher mit meinen Händen den Garaus machen werde.«
Und Gilles?, dachte Judith, die mit Lucia bei den Kindern saß und dem Gespräch zuhörte. Aber Gilles hatte sich selbst Recht verschafft. Walther, dem niemand misstraute, war noch am Tag von Philipps Ermordung zur Altenburg zurückgekehrt, wo die Rede von drei Toten war, dem Ritter Georg, dem Knecht Hubert und dem Krüppel, der zum Gefolge der Byzantinerin gehörte. Da Letzterer aus heiterem Himmel wahnsinnig geworden war und sich auf den armen Georg gestürzt hatte, war seine Leiche »wie die eines tollen Hundes« – so drückte ein Dienstmann sich aus – mit den Küchenabfällen in den Burggraben geworfen worden. Walther fand sie nach einigem Suchen und stellte fest, dass er den Mann, den er einst in Köln an Judiths Seite zum ersten Mal erblickt hatte und der damals ein offenes, freies Lächeln auf den Lippen trug, kaum wiedererkannt hätte. Und doch, im Tode kräuselten sich seine Lippen um ein Winziges nach oben, als sei er mit Freude in sein Ende gegangen.
Es war wohl Blasphemie, doch auch ein Ausdruck der Schuld, die Walther nun nicht mehr begleichen konnte. In der Nacht, ehe Philipps Sarg geschlossen wurde, bettete er heimlich die kleine, beinlose Leiche hinein, so dass Gilles aus Aquitanien, Knappe, Söldner, Spielzeugmacher für Prinzessinnen, Ehemann von Judith und doch nie ihr Mann, nun zwischen Heiligen und Päpsten ruhte. Als Walther es Judith erzählte, musterte sie ihn einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf.
»Auf so etwas kommst auch nur du«, murmelte sie.
»Und nur du bringst es fertig, noch aus allem einen Vorwurf zu machen.«
»Das war keiner«, sagte Judith kühl. »Ich wollte dir danken. Es – es war ein guter Gedanke, und es ist eine gute Ruhestätte für Gilles.«
Sie brachten es noch lange nicht fertig, miteinander zu sprechen, ohne einander zu verletzen. Da war es leichter, zu versuchen, die Kinder abzulenken, die verängstigt, erschöpft und von der Überzeugung gepackt waren, ihrem Vater nachzufolgen, sobald sie den Dom verließen. Sie waren das schwierigste Publikum, welches Walther je gehabt hatte, und er gab alles, um sie abzulenken.
* * *
Heinz von Kalden riet Irene, sich mit ihren Töchtern auf die Burg Hohenstaufen in Schwaben zurückzuziehen, dem alten Stammsitz der Staufer, um dort ihre Niederkunft abzuwarten, während er und der Bischof von Speyer die Verhandlungen mit Otto führten. Er stellte ihr genügend Männer zur Verfügung, um ihr sicheres Geleit zu verschaffen, während er seine Jagd auf den Wittelsbacher begann.
»Und die Andechs-Meranier?«, fragte Beatrix. Ihre Stimme war nicht länger die des unbekümmerten Mädchens, das Walther um Geld für Bratwürste gebeten hatte; Tränen und Rachsucht lagen darin.
»Nur ein Reichstag kann über ihre Schuld oder Unschuld befinden und sie für rechtlos erklären«, erklärte Heinz von Kalden. Es wurde Walther bewusst, dass er die Frage des Kindes beantwortete wie die einer Erwachsenen – wie die einer baldigen Königin. »Es wird ohnehin einer einberufen werden müssen, um Otto noch einmal wählen und als Herrn Philipps
Weitere Kostenlose Bücher