Das Spiel der Nachtigall
betrat und von den deutschen Rittern getötet wurde.
Sie hörte Philipp schreien, ein ersticktes Gurgeln, dann nichts mehr.
Den Mann, der aus dem Gemach stürzte und sie grob zur Seite stieß, sah sie und sah ihn nicht; sie nahm nichts mehr wahr nach jenem erstickten Schrei, der in ihren Ohren hallte und ihr Herz erstarren ließ. Danach verwischte alles vor ihren Augen.
Später, als sie sich die Bilder wieder und wieder in die Erinnerung rief, wusste sie, dass der Bischof von Speyer sich hinter den Tisch gekauert hatte und der Truchsess blutend auf dem Boden lag, aber alles, was Irene wirklich sah, als sie in den Raum taumelte, war Philipp, Philipp, dessen Hals zu zwei Dritteln gespalten war wie der eines Tieres, das an der Decke einer Küche zum Ausbluten hing.
Jemand redete auf sie ein. Es mussten ein paar der Knechte des Bischofs sein, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte, denn sie erkannte keinen von ihnen, und die Laute, die aus ihren Mündern drangen, waren ihr genauso fremd. »Wer seid Ihr?«, fragte sie auf Griechisch.
Sie fiel neben Philipps Leiche auf die Knie und versuchte immer noch, seinen Hals wieder zusammenzupressen, als man ihr die Nachricht brachte, ihre Töchter seien gefunden worden. Das wirkte wie ein Schwall kalten Wassers auf sie, denn es machte ihr klar, dass es immer noch Schlimmeres gab: Ihre Kinder konnten die Nächsten sein, die starben. Rasch erhob sie sich, eilte hinaus in den Innenhof, wo ihre Töchter auf sie warteten und bei dem Blut auf ihrem Gewand entsetzt aufschrien. Aber sie lebten, sie waren auf wunderbare Weise am Leben, und Irene dankte Gott, bis ihr wieder einfiel, wen er ihr gerade genommen hatte.
»Die Magistra muss Euch versorgen, Mama, und Herr Walther muss den Vater sprechen«, rief Beatrix. Erst da bemerkte Irene, dass der Sänger hinter den Mädchen stand, und ihr wurde klar, dass ihre Töchter glaubten, das Blut stamme von ihr selbst. Sie wussten nicht, dass ihr Vater tot war.
»Geht«, sagte sie zu Walther, weil sie nicht laut aussprechen wollte, dass Philipp nie wieder jemanden empfangen konnte, denn wenn sie es laut aussprach, wurde es wirklich.
»Das ist ungerecht. Er hat uns beschützt!«, protestierte Beatrix.
»Euer Gnaden, es tut mir leid«, sagte der Sänger leise.
»Es ist nicht wahr, versteht Ihr?«, fuhr sie ihn an. »Es ist nicht wahr.«
»Euer Gnaden, es mag sein, dass noch nicht alles vorbei ist. Die Kinder! Ihr müsst Euch sofort mit Euren Rittern auf die Altenburg zurückziehen. Mit Euren Leuten, nicht mit denen der Andechs-Meranier.«
»Aber«, sagte Irene, weil es etwas war, über das sie nachdenken konnte, anders als die Ungeheuerlichkeit, deren Blutspuren sie auf ihrem Kleid trug, »dort sind bereits Ritter der Andechs-Meranier. Die Königin von Ungarn hat sich dorthin zurückgezogen, gleich nach der Messe, mit all ihren Leuten.«
* * *
Judith saß mit Gilles über einem Schachspiel, als sie Lärm im Burghof hörte, doch sie schob es darauf, dass die Königin von Ungarn wie angekündigt eingetroffen sein musste, und achtete nicht weiter darauf. Keiner von ihnen war gut in dem Spiel, aber sie hatten Freude daran. Da es ein sehr warmer Tag war, hatte Judith das Schachbrett und die Figuren, die Gilles geschnitzt hatte, im Freien aufgebaut. Sie saßen hinter einer hohen Buchsbaumhecke, was erklärte, warum die Königin sie nicht sah, als sie den Burggarten mit einem ihrer Brüder betrat.
»… keine Wahl!«, stieß Gertrud von Ungarn heftig hervor. »Ihr habt die Sache begonnen, und das ist die einzige Art und Weise, sie zu einem Ende zu bringen, die euch nicht den Hals kostet.«
»Du bist eine Frau, da solltest du zartere Gefühle haben«, sagte die Stimme Bischof Eckberts entsetzt.
»Ich habe vor allem meinen Verstand beisammen. Ihr habt gerade dem Wittelsbacher aus der Stadt geholfen, du und Berthold, also wird euch kein Mensch glauben, dass wir mit der Angelegenheit nichts zu tun hatten. Nur wenn die Byzantinerin und ihre Brut ebenfalls sterben, gibt es niemanden, der Rache verlangen kann. Dann sind wir die Familie, die das Reich gerettet und Hans von Brabant zum König gemacht hat. Wenn sie überlebt … du hast vielleicht vergessen, wie gut die Staufer darin sind, sich zu rächen, aber ich nicht!«
»Sie ist eine Frau, ihre Kinder sind Mädchen. Sie werden in Klöstern verschwinden; in ein paar Jahren fragt niemand mehr nach ihnen. Philipp war ein nötiges Opfer, Schwester, aber wir sind doch nicht Herodes, der Kinder
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