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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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selbst getan. Ihr wolltet, dass ich Euch weiter anschaue und nicht das Blut an Euren Händen sehe.« Weil er ein Christ war, meinte sie, und weil sie in diesem Moment ein wenig von dem verstand, was Salvaggia gefühlt haben musste, als sie sagte, sie würde das Kind des Kaisers ins Meer schleudern, obwohl es ihr nichts getan hatte; ein Gefühl, das nichts mit Gerechtigkeit zu tun hatte, mit Schuld oder Unschuld.
    Doch an der Art, wie sich seine Augen weiteten, wie er sie sofort losließ und einen Schritt zurücktrat, an seinem unwillkürlichen Atemholen erkannte sie, dass er sie anders verstand. Dafür konnte es nur einen Grund geben.
    »Ihr wart dabei.«
    * * *
    Mit fünf Jahren hatte Irene zum ersten Mal an einem Bankett teilgenommen, das im Blachernen-Palast stattfand, der Residenz ihres Vaters in Byzanz. Rosenblätter lagen überall auf dem Boden verstreut, der überdies mit warmen Teppichen bedeckt war; die Mosaike an den Wänden stammten noch aus der Zeit Justinians. Kaiser und Kaiserin waren auf einer mit Rädern und Hebeln betriebenen mechanischen Empore zu den übrigen Gästen aufgefahren wie heidnische Götter, und dem byzantinischen Hofzeremoniell gemäß hatte sich bei ihrem Anblick jeder Gast langgestreckt auf den Boden geworfen.
    Was der Herzog von Wien unter einem Gastmahl verstand, war, um eine Tafel inmitten eines nicht allzu großen Raumes zu sitzen, die aus einer auf zwei Böcken abgesetzten großen Platte bestand. In den kaiserlichen Bankettsaal hätte dieser Raum mehrfach gepasst. Die Gäste saßen weder auf Stühlen, noch waren Liegen vorgesehen, sondern man hockte auf Holzbänken, wobei Irene, dem Herzog, dem Bischof von Passau und einigen der edlen Herren immerhin mit Federn gefüllte Kissen zur Verfügung gestellt wurden. Decken, um die zugige Kühle abzuwehren, gab es nicht.
    Zunächst erleichterte es Irene, dass zumindest ein Becken zum Waschen der Hände gereicht wurde, bis sie verstand, dass es nicht allein für sie gedacht war, sondern für alle anderen Gäste auch. Die Musikanten spielten nicht übel, aber die Ritter sprachen so laut, dass sie von der Musik kaum etwas hörte; das wenigstens, musste Irene eingestehen, war auch in Byzanz nicht anders gewesen. Das Lateinische klang im Munde von Friedrich und seinen Leuten hart, ganz anders als in Byzanz oder Sizilien, und bis auf Friedrich selbst und Bischof Wolfger machte jeder grauenhafte Fehler, so dass sie oft Mühe hatte, dem Sinn des Gesagten zu folgen. Dem Most, der zuerst gereicht wurde, war einiges abzugewinnen, doch danach gab es keinen Wein, sondern eine braune, schäumende Flüssigkeit, die ihr als »Bier« vorgestellt wurde. Rülpsen schien allgemein üblich zu sein. Was das Essen betraf, so gab es zunächst Trockenfleisch vom Schaf, das nicht gewürzt war, dann einen Bohneneintopf, bei dem wenigstens Salz verwendet worden sein musste, doch als die Innereien aufgetischt wurden, hatte sich das bisschen Appetit, das Irene geglaubt hatte zu besitzen, verloren; unwillkürlich musste sie wieder an Palermo denken, daran, wie Menschen schrien, denen Innereien aus dem Leib gerissen worden waren, daran, wie der kleine Guglielmo gebrüllt hatte, als man ihn entmannte, weil es keine Erben der Hautevilles mehr geben durfte, die nicht auch staufisches Blut in sich hatten.
    Für einen Moment wünschte Irene sich, die Magistra hätte ihr nicht geholfen, sondern sie aufgeschnitten und verbluten lassen, aber dann erinnerte sie sich wieder, wie lange es dauerte, bis ein Mensch starb, und an das Schicksal, das allen Bewohnern Salernos gedroht hatte.
    Außer den Musikanten gab es noch Troubadoure, ganz wie die Magistra es ihr auf dem Weg versprochen hatte, doch keiner von ihnen sang in Französisch. Anscheinend glaubten sie, dass ihre eigene Sprache ähnlich wohlklingend wäre. Zunächst wollte Irene das als Arroganz abtun, doch sie musste zugeben, dass bei dem, was der grauhaarige Ritter namens Reinmar von sich gab, zumindest der Sprachrhythmus den Ohren schmeichelte, obwohl sie nur wenig davon verstand. Die Magistra hatte recht gehabt; sie musste die hiesige Sprache besser lernen.
    Nach dem Lied des Herrn Reinmar wurden Pasteten aufgetischt, und sie würgte ein kleines Stück hinunter, um höflich zu sein. Immerhin war nicht an Pfeffer gespart worden. Die Mischung aus Hühnerfleisch, Speckwurst und Schafsmagen hätte ihr unter anderen Umständen vielleicht sogar gemundet, doch ihr Appetit war immer noch nicht wieder erwacht.
    Bischof Wolfger

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