Das Spiel der Nachtigall
doch Walther scherzte selbst über die merkwürdigsten Dinge. Daher war Judith nicht überrascht, als er leichthin meinte, die Geschichte mit den Halsschmerzen habe ihm besser gefallen. Aber dann verlor er jeden Anflug von Humor, als er sie hinter eine Balustrade zog. »Wart Ihr heute Morgen nicht ganz bei Trost? Der Bischof ist kein Student, mit dem Ihr streiten könnt!«
»Ich habe nicht mit ihm gestritten. Ich bin nur nicht vor ihm gekrochen. Aber ich kann schon verstehen, warum Euch das ein Rätsel ist«, sagte sie, obwohl ihr bewusst war, dass sie log. Sie hatte ein wenig mit Worten gespielt, mehr nicht; es war ein Kriechen gewesen, aber wenn ihr das Gespräch etwas klargemacht hatte, dann, dass sie nicht den Mut besaß, ihr eigenes Leben für ihren Glauben in Gefahr zu bringen. Es war schlimm, sich das einzugestehen.
»Es ist mir ein Rätsel, weil ich Euch bisher für eine kluge Frau gehalten habe«, sagte er wütend. »Der Bischof ist alles andere als dumm. Er mag jetzt noch andere Dinge im Kopf haben, doch ehe er zum Kreuzzug aufbricht, wird er ganz gewiss noch die Zeit finden, Herzog Philipp darauf aufmerksam zu machen, dass seine Gemahlin keine jüdische Ärztin haben sollte. Dann könnt Ihr gleich nach Salerno zurückgehen.«
Das konnte sie nicht, doch davon wusste er nichts. Er meinte es gut, aber das half Judith nicht gegen den Ärger, der in ihrem Herzen festsaß und bei dem Wort Kreuzzug aufplatzte wie eine Wunde voller Eiter. Besser war da schon der Zorn auf ihn und seinen Bischof als die Abscheu vor sich selbst, weil sie im Grunde doch genau wie er ein Feigling war. Noch dazu hatte sie sich von ihm umarmen und seine dummen Verse in ihren Kopf eindringen lassen, als sei sie ein kicherndes kleines Mädchen, dem jemand Gänseblümchen überreichte.
»Hört endlich auf, so zu tun, als wäret Ihr meinetwegen besorgt!«, stieß sie hervor. Er stand direkt vor ihr, so nahe, dass sie schon wieder seine Sommersprossen zählen konnte, und sie war ärgerlich auf ihn. Gerade jetzt schien er ihr alles zu verkörpern, was falsch an dieser Welt war. »Wisst Ihr, was Euch wirklich kümmert? Dass dieser Bischof sich fragen könnte, was Ihr mit mir zu schaffen habt, und Eurem Herzog empfiehlt, seine Gunst lieber singenden Rittern zu schenken, die sich ausschließlich ihren Schlächtereien widmen, statt hin und wieder einer Jüdin Kuhaugen zu machen!«
Das war verletzend, vielleicht sogar unrecht, und sie wusste es. Einen Moment lang war der Ausdruck seiner Augen der eines Patienten, dem ein Pfeil mit Widerhaken aus dem Fleisch gezogen wurde; sie streckte unwillkürlich die Hand aus, nur, um sie sofort wieder zurückzunehmen, denn er war nicht ihr Patient. Seine Miene versteinerte, und zum ersten Mal hörte sie in seiner Stimme etwas Bösartiges, als er ihr antwortete: »Ihr habt recht. Ich mache mir wirklich Sorgen um meinen Ruf, denn wisst Ihr, ich möchte, dass die Menschen glauben, dass ich einen guten Geschmack habe.«
Das war gemein und tat weh, doch statt sich umzudrehen und zu verschwinden, wie es das Vernünftigste gewesen wäre, spielte ihr Gedächtnis Judith einen Streich: Es erinnerte sie daran, wie befriedigend es gewesen war, ihn ins Gesicht zu schlagen, das Gefühl seiner Wange und der Bartstoppeln auf ihrer Haut. Sie hob ihre Hand, doch diesmal war er darauf gefasst und fing sie ab. Etwas fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden; es musste der Psalter des Bischofs sein. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie zwischen ihm und der Balustrade stand, erst, als er ihr Handgelenk wieder losließ, nur, um beide Hände links und rechts von ihrem Kopf gegen die Säule zu stemmen, nur, um sich vorzubeugen, bis seine Lippen die ihren fanden.
Ihr Mund öffnete sich. Um zu atmen, dachte Judith, und dann dachte sie überhaupt nichts mehr. Was in ihr brannte, musste Hass sein, Hass, der sich fortsetzte in Feuer. Wie lange es brannte, wusste sie nicht, doch irgendwann schmeckte sie Blut und begriff, dass sie ihn gebissen haben musste. Sie riss sich los und stieß ihn zurück. Diesmal sagte keiner von ihnen etwas, während ihr Atem sich langsam wieder beruhigte. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Haut brannte, überall, wo er sie berührt hatte.
Schließlich straffte sie sich, wandte sich ab und kehrte zu Irenes Gemach zurück. Er folgte ihr nicht.
Judith traf ihren Onkel wieder, als sie mit Lucia zur Küche kam, um dem Kind etwas zu essen zu besorgen. Offenbar hatte er dort auf sie gewartet. Sein Gesicht erhellte
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