Das Spiel der Nachtigall
war! Nur aus Schuldgefühlen konnte er sich eingebildet haben, in eine scharfzüngige Jüdin verliebt zu sein, die sich dem erstbesten Kaufmann aus ihrer Heimatstadt an den Hals warf und mit ihm davonrannte.
Er stattete der Prinzessin einen Besuch ab, doch nur, weil es die Höflichkeit gebot, nicht etwa, um über irgendwelche bösartigen Frauen zu reden, die in ihrem Leben und dem anderer Menschen nur das Schlechte sehen konnten. Irene beschied ihm, dem Herzog ihre Grüße zu entbieten, und wollte außerdem wissen, ob er gedächte, nach ihrer Hochzeit mit Herzog Friedrich ins Heilige Land zu ziehen.
»Das weiß ich noch nicht«, entgegnete Walther, obwohl er genau wusste, dass er nichts dergleichen tun würde.
»Wenn nicht, so wäre es doch möglich, dass Ihr auf eigene Faust durch die Lande reist. Ich muss sagen, dass ich nicht viel von den deutschen Provinzen weiß, doch man hat mir gesagt, dass die Stadt Köln groß und schön sein soll und auf alle Fälle einen Besuch wert.«
Walther verbeugte sich. »Euer Gnaden, Köln mag seine Reize haben, doch vor allem gilt die Stadt als hoffnungslos hochmütig. Sie lässt immer mehr Leibeigene ein, die nach einem Jahr, so sie nicht entdeckt werden, freie Leute werden, egal von wo sie entflohen sind, was manchen Fürsten bitter aufstößt. Und man kümmert sich dort ausschließlich um den Handel mit den Ländern des Königs von England, kein bisschen um die schönen Künste, was eindeutig ein Fehler ist.«
»Nun, dann wäre es an Euch, die Kölner eines Besseren zu belehren, nicht wahr? Ich wünsche Euch eine gute Reise.«
Einmal vom Tross entfernt, hatte er trotz der Mühe, Hildegunde nicht ihren Willen zu lassen, Zeit, an seine Zukunft zu denken, denn nur um diese wollte er sich von nun an kümmern. Frauen zu besingen war unentbehrlich für einen Minnesänger, aber das konnte nicht alles sein, wozu ihm Gott die Macht der Worte gegeben hatte. Und das hatte nichts damit zu tun, dass die erste Frau, der er ein Lied zum alleinigen Geschenk gemacht hatte, ihm danach ins Gesicht schlagen wollte.
Das Heldenlied über die Nibelungen ging ihm immer noch durch den Kopf. Es würde noch Jahre dauern, bis Wolfgers Schützling es beendet hatte; Walther wünschte ihm ein langes Leben, wenn er jetzt schon eine ganze Aventüre nur für Kriemhilds Kindheit brauchte, und auch dann würden es nicht sehr viele Menschen hören, weil ein so langes Epos nur von wenigen Spielleuten vorgetragen werden konnte, ohne dass diesem dabei seine Stimme versagte und die Damen in seinem Publikum einschliefen. Ich liebe die Frauen, alle Frauen, fiel ihm dabei wieder ein, warum sollte ich mein Herz an eine einzige verlieren. Und schon war er wieder bei Judith. Alles drehte sich im Kreis.
Um sich abzulenken, versuchte er, weiter an das Nibelungenlied zu denken. Das Lied würde von ein paar Adligen und Mönchen gelesen und von ein paar Kennern geliebt werden, aber nicht mehr. Und wie sollte es auch, denn was kümmerten die Leute in den Schenken Kriemhild und Siegfried, wenn sie erschöpft nach ihrem Tagewerk bei einem Krug Bier saßen? Was sie kümmern würde, dachte Walther, wären Verse über das, was hier und jetzt vor sich geht. Natürlich gab es dergleichen schon: Reinmar hatte eine Totenklage für den alten Herzog geschrieben, die Walthers Meinung nach anrührender war als die meisten Liebeslieder, die sein Lehrer in die Welt gesetzt hatte. Doch Totenklagen um Herzöge waren den Leuten in den Schenken auch nichts wert, nicht in einer Welt, in der das Leben von einfachen Leuten sehr billig war und die Preise für Korn, Kraut, Brot und Rüben die Gespräche beherrschten.
Wenn er damals in Erdberg einen Spottvers darauf geschrieben hätte, wie der englische Löwe vom österreichischen Adler zerzaust wurde, das wäre ein Lied gewesen, das jeden interessiert hätte, viel mehr, als es König Gunthers Werben um Brünhild tat. Natürlich wurde ein englischer König nicht alle Tage gefangen genommen. Aber nach dem, was Friedrich und der Bischof angedeutet hatten, sollte in Frankfurt jetzt ein neuer deutscher König gewählt werden, ein Kleinkind noch dazu, nur weil ein Kaiser seiner Familie die Macht erhalten wollte. In den anderen Ländern, von denen Walther gehört hatte, erbten die Söhne die Kronen ihrer Väter, bei den Franzosen wie bei den Angevinern, die auf dem englischen Thron saßen. Nur im Reich wählten die Fürsten den König und mussten dazu entweder überzeugt, eingeschüchtert oder, wie
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