Das Spiel der Nachtigall
nicht. Sollte ich gekränkt sein, oder wisst Ihr Dinge über den Bischof, die ihn so gefährlich machen?«
Die Magistra blickte auf ihre Hände, dann zu Irene, als müsse sie einen Entschluss fassen. »Mein Glaube ist nicht der Eure. Ich bin eine Jüdin. Deswegen fürchte ich den Bischof.«
Das kam nicht völlig überraschend. Irene war aufgefallen, dass die Magistra sich nie bekreuzigte und nie die Heiligen oder die Jungfrau Maria in ihren Redewendungen beschwor. Auch betete sie nicht vor ihren Untersuchungen, was sonst jeder Arzt tat, den Irene kannte.
»Wenn das der Grund ist, warum Ihr mich verlasst, dann hättet Ihr mir mehr vertrauen sollen«, sagte sie und machte sich nicht die Mühe, die Kränkung in ihrer Stimme zu verbergen. Natürlich waren die Juden fehlgeleitet und würden sich bekehren müssen, doch sie hätte sich nie von einem Bischof gegen eine ihrer Dienerinnen beeinflussen lassen. Nach ihrer Eheschließung würde sie selbst den orthodoxen Glauben aufgeben und den Bischof von Rom als das Oberhaupt der Kirche akzeptieren müssen; diese Forderung gehörte nicht zu den Dingen, die Irene mit ihrer Zukunft versöhnten, weshalb sie den weströmischen Bischöfen nicht unbedingt warm gegenüber gestimmt war.
»Es ist nicht der Grund«, antwortete die Magistra sachte. »Euer Gnaden, Ihr seid gesund, und das wird, wie ich hoffe, noch lange so bleiben. Ich aber bin eine Ärztin. In einer Stadt wie Köln gibt es immer viele Menschen, die Hilfe benötigen.«
Etwas in Irene schrie: Bin ich Euch denn so zuwider, dass Ihr lieber rülpsende Weinhändler, Steineklopfer, Zimmerleute und Fischweiber verarzten wollt, als bei mir zu bleiben? Aber das wäre ein demütigendes Eingeständnis, mehr für eine Frau zu empfinden, die tief unter ihr stand, als sie sollte. Eine Erinnerung flackerte in ihr auf, an ihren Vater, wie er einen Günstling, der ihn verraten hatte, als monophysitischen Irrgläubigen an den Patriarchen von Konstantinopel übergab. Er war nie mehr aufgetaucht. Einen Moment lang fragte sie sich, was die Magistra wohl tun würde, wenn Irene nach den Wachen rief und sie beschuldigte, ihr Gift eingeflößt zu haben. Es wäre so einfach: Sie hat meinen Monatsfluss herbeigerufen, obwohl es nicht meine Zeit ist. Sie ist eine jüdische Giftmischerin. Es gab niemanden, der Irene daran hindern könnte. Nichts als die Gewissheit, dass es ein Unrecht wäre.
»Dann geht zu ihnen«, sagte sie heftig. »Zu den Menschen, die Euch brauchen.«
Die Magistra wagte es tatsächlich, zu ihr zu treten und ihr wie einem kleinen Mädchen über die Haare zu streichen, die bald für immer unter einer Haube verborgen sein würden.
»Wenn Ihr mich braucht, Euer Gnaden, dann schickt Nachricht in das Haus des Kaufmanns Stefan in Köln, und ich werde zu Euch kommen. Das verspreche ich Euch.«
Kapitel 13
D as Erste, was Walther von Frankfurt sah, war das große Anwesen am Riederwald, in dem der Herzog von Schwaben residierte und seine Braut erwartete. Es handelte sich um eine alte römische Villa, die zu einem großen Gehöft umgebaut worden war, gerade noch offen und ungeschützt genug, dass man es nicht eine Burg nennen konnte, mit einer Kapelle und großen Ställen. Wenn es den ganzen Tag lang schwierig gewesen war, sein Pferd Hildegunde dazu zu zwingen, auf der Straße zu bleiben, so konnte man sie jetzt kaum zurückhalten, den Stall zu suchen; sie hatte Heu und Wasser gewittert.
Der Tross lag einen guten Tagesritt hinter ihm. Als es darum ging, einen Boten vorauszuschicken, um dem Herzog die baldige Ankunft seiner Braut zu melden, damit er einen würdigen Empfang vorbereiten konnte, hatte Walther sich freiwillig gemeldet. Hugo hatte die Entsendung eines Sängers für eine dem Anlass angemessene Geste gehalten. Sein Vater lächelte nur fein und schlug vor, der Prinzessin vorher noch einen Besuch abzustatten: »Ich will nicht auf die Rückgabe meines Psalters drängen, aber vielleicht könntet Ihr sie daran erinnern?«
Der Psalter hatte einige Tage in Walthers Satteltasche verbracht, ehe ihm der Bischof diese Gelegenheit bot, das verwünschte Buch wieder loszuwerden. Unter anderen Umständen hätte er jeden Abend darin geblättert; Bücher wie dieses, in Kalbsleder gebunden, auf feingegerbtem Pergament geschrieben und mit kundiger Hand illustriert, waren selten und kostbar. Aber er war zu sehr damit beschäftigt, Judith zu verfluchen, um in der Lage zu sein, das Buch auch nur anzuschauen. Was für ein Narr er doch gewesen
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