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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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seinen Unterschenkel. Der Wachführer wurde angesichts dieser Ratlosigkeit mutiger.
    »Wenn Sie gestatten«, sagte er leise, »dann sehen Sie doch nur: der viele Ruß auf dem Boden, der Gestank nach Asche, das Kreuz unseres Erlösers auf den Kopf gestellt ...«, er schluckteaufgeregt, »und ein winziges Fenster und eine von innen versperrte Tür, sodass kein Mensch die Stube betreten oder verlassen konnte ...«
    »Der Todesengel«, sagte der Bäcker mit angehaltenem Atem und kam den Wachen damit zuvor.
    »... es war der Leibhaftige. Herr im Himmel, steh uns bei.«
    »Bei all der Schlechtigkeit in der Welt hat der Teufel viel zu viel zu tun, um sich jeden Sünder einzeln zu holen«, erklärte der Burggraf unbeeindruckt, und zum ersten Mal war ich mit ihm einer Meinung.
    »Aber questor, die Zeichen ... und nicht nur hier ...«
    »Schluss. Ich will diesen Unfug nicht hören. Die Bahrprobe zeigt nur, dass die beiden Jammergestalten es nicht waren. Ich finde den Mörder.«
    »Was soll nun geschehen?«, fragte der Wachführer nach einer beinahe peinlichen Pause, die bewies, dass der Burggraf ihn keineswegs überzeugt hatte.
    »Ich rede mit Herrn Hoechstetter. Für mich wird er sein Gespräch unterbrechen.«
    »Und die Zeugen? Wollen Sie sich die Männer nicht vornehmen?«
    »Natürlich will ich das!«, fuhr der Burggraf auf. »Was fällt dir ein, so unverschämt zu fragen?«
    »Jawohl, questor.«
    Hinter uns ertönte ein Geräusch wie das enttäuschte Greinen eines Kindes, das man von seinem Spielzeug wegzerrt; nur dass dieses Kind mehr als hundertfünfzig Pfund wiegen musste. Der schwachsinnige Knabe wurde von seinem erwachsenen Begleiter vom Frettchenkäfig weggezogen. Der Mann wedelte mit einem Finger vor seinen Lippen herum, und der Idiot machte ein tragisches Gesicht, verhielt sich aber still. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Tier, das ihm die kalte Schulter zeigte, während er dem Zug seines Aufpassers folgte. Ich fing dessen Blick auf und erntete wieder das Lächeln, das in seinen Mundwinkeln zu ersterben schien, während sich in seinen Augen Angst spiegelte. Er flehte mich wortlos an, mich ebensostill zu verhalten wie der Knabe. Die beiden verschwanden fast ohne Geräusch durch die Tür.
    Die Wachen trieben uns von Stinglhammers Arbeitsraum zurück in die Schreibstube. Die Sonne hatte mittlerweile eine Position erreicht, die ihre Strahlen von den Schreibpulten weg auf den rohen Holzboden der Stube kriechen ließ, sodass der Raum plötzlich aufleuchtete, als wäre ein derart unpassender Kontrapunkt zu der blutigen Szene in dem Kämmerchen nebenan vonnöten. Ich hörte das erschrockene Keuchen, als der Wachführer den stotternden Schreiber grob am Wams packte und aus der Arbeitskammer zu zerren versuchte, und dann hörte ich die Stimme des Wachführers, der kaum hörbar »Gute Geister, steht uns bei!«, hervorstieß, und ich drehte mich um.
    Beide Männer starrten auf den Boden vor Stinglhammers Tisch. Niemand hatte den Rußspuren darauf größere Aufmerksamkeit zukommen lassen; die stille Gestalt des Toten in seinem abgewetzten Thronsessel hatte alle Blicke auf sich gezogen. Nun war es anders, und nun schimmerte auch die düstere Kammer im Licht, das von außen auf den Öltuchrahmen fiel und sichtbar machte, was vorher von Dunkelheit verhüllt gewesen war. Sie standen wie gebannt, zwei Feinde, die der plötzliche Schreck einte; und auf einmal schien der Wachführer den Schreiber nicht mehr nach draußen ziehen zu wollen, sondern sich an ihm festzuhalten. Das Gesicht des Burggrafen wurde starr, als er ihren Blicken gefolgt war, und es verlor an Farbe.
    Der Ruß auf dem Boden war nicht nur Schmutz gewesen, den ein nachlässiges Reinigen des Kamins oder ein heftiges Aufstochern der Asche verursacht hatte. Die achtlosen Tritte des Burggrafen hatten zwar das meiste verwischt, aber was noch sichtbar war, genügte, um ein Prickeln zwischen meinen Schulterblättern hervorzurufen, das mir den Rücken hinablief wie ein Guss kaltes Wasser.
    Ich erinnere mich.
    Ich hatte etwas Ähnliches schon einmal gesehen. Es war erstaunlich, wie sehr ich das Geschehnis verdrängt hatte. Ich habe Schuld auf mich geladen.
    Es war, als hätte es nur des geeigneten Moments bedurft, dass es wieder aus der Dunkelheit auftauchte, seit mehr als zwanzig Jahren aus meinem Gedächtnis verdrängt und so taufrisch und böse wie damals, eine Erinnerung, die mein halbes Leben lang verborgen gewesen war und nun so heftig durch die plötzlich

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