Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
seine eigene Macht zu vergrößern?«
Sie lachte auf. »Ich warte noch heute darauf, dass ihm in der Erzählung ein Bocksfuß wächst.«
»Er hat nur zu erfolgreich den Zyniker gespielt. Niemand hat hinter seine Fassade blicken können.«
»Sie konnten es.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Als Frau Lucia, die Ehefrau von Georg Hoechstetter, letztes Jahr den kleinen Georg auf die Welt gebracht hatte, wurden die Frauen aller Angestellten des Hauses aufgefordert, ihr ihre Aufwartung zu machen.« Sie sah zu einem der Fenster hinauf. »Sie wurden alle in ihre Schlafkammer befohlen, mussten sie und das Kind segnen und ein Geschenk überreichen. Die Frauen waren nicht gerade begeistert und rächten sich auf ihre Weise: Lucias Schwangerschaft hatte zwei Jahre auf sich warten lassen. Als die Frauen nun als weitere Gratulanten ihre zum Teil schon älteren Kinder zu dem unbequemen Termin mitbrachten, durchschaute ihre Herrin ganz gut, dass sie es eigentlich taten, um ihr zu zeigen, wie viel erfolgreicher sie bei der Produktion von Nachkommen gewesen waren.«
Ich seufzte.
»Aber das ist es nicht, was ich ihnen erzählen wollte. Unter den Frauen war nur eine, die ohne Kind gekommen war, obwohl sie im besten Alter dafür gewesen wäre, Mutter zu sein. Ihrem Gesicht war nicht anzusehen, was sie dachte oder fühlte, doch ich konnte hören, wie sie hinter dieser Fassade vor Kummer schrie.«
»Wann war das?«, stieß ich hervor.
»Ich nehme an, Ihre Tochter gleicht eher ihrer Mutter. Aber diese Angewohnheit, den Unterkiefer nach vorn zu schieben, wenn sie nicht will, dass man hinter ihre Fassade blickt, stammt eindeutig von Ihnen. In diesem Moment ist sie Ihrem Vater wieaus dem Gesicht geschnitten.« Sie blickte noch einmal zu dem Fenster hinauf, hinter dem Maria ihren besonderen kleinen Spießrutenlauf absolviert hatte. »Kennen Sie die unangenehme menschliche Eigenschaft: sich, wenn man getreten wird, den nächstbesten Schwächeren zu suchen und den Tritt weiterzugeben, anstatt sich mit ihm zu verbünden?« Ich nickte wortlos.
»Dann werden Sie wissen, wie Lucia reagiert hat, als die einzige Frau, die noch erfolgloser darin war, Kindern das Leben zu schenken, an ihr Bett trat.«
»Mein Gott.«
Sie sah mich mit einem Ausdruck an, der fast zärtlich war. Dann blickte sie rasch zu Boden. »Sie werden nicht nur Ihre eigenen Sünden abzubitten haben.«
»Ihre Mutter ist im Kindbett gestorben. Sie selbst konnte bis jetzt keine Kinder empfangen. Ich nehme an, es liegt an der Angst, genauso zu enden.«
»Was immer Sie von ihr denken: Die meisten anderen Frauen wären heulend davongerannt. Sie dagegen hatte das schönste Geschenk von allen für Lucia und das Kind dabei.«
Ich starrte sie an und fühlte meinen Hals eng werden vor Trauer um Maria. Elisabeths Augen blickten unverwandt in die meinen. Plötzlich blinzelte sie und sagte heiser: »Jetzt schieben Sie Ihren Unterkiefer vor.« Über ihre Lippen huschte ein Lächeln und verschwand wieder.
Ich räusperte mich. »Danke, dass Sie mir das erzählt haben.«
»Wissen Sie, wo das Schwarze Fass ist?«
»Was soll das sein?«
»Eine Trinkstube im Jakoberviertel.«
»Was ist damit?«
»Ich bin nur eine Köchin«, sagte Elisabeth. »Andere hören vielleicht mehr als ich: die Knechte, die die Herren auf eine Kauffahrt begleiten, die Kutscher, die sie zum Rat oder zu einer der anderen Familien fahren, die Schreiber, die die Diktate aufnehmen, die Boten, denen Nachrichten anvertraut werden.«
»Jene anderen verkehren im Schwarzen Fass?«
»Herr Ulrich würde es verbieten, wenn er es wüsste.«
»Und Sie glauben, dass ich dort jetzt jemanden finde, dem ich ein paar Informationen aus der Nase ziehen kann? Um diese Tageszeit, wo man eigentlich seinem Tagwerk nachgehen sollte?«
»Die Trinkstube hat nur während der nächtlichen Ausgangssperre geschlossen.«
»Das meine ich nicht.«
»Ich weiß, was Sie meinen.«
»Dieser Fisch stinkt wirklich am Kopf.«
»Die Kleinen ahmen nur die Freiheiten nach, die die Großen sich herausnehmen.«
»Wenn man die Macht in der Hand hält, sollte man auch einen Geist besitzen, der reif genug ist, mit ihr umzugehen.«
»Hüten Sie sich vor Lutz«, sagte sie.
»Wer ist Lutz?«
»Ein großer Bursche, zu dem die meisten der Dienstboten aufsehen. Die Spuren, die er auf seinem bisherigen Erdenweg hinterlassen hat, bestehen im Wesentlichen aus eingeschlagenen Schädeln.«
»Solche Burschen gibt es in jedem Haus.«
Elisabeth hielt mir die Hand
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