Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
behandelt und seine Kunden betrogen, wo es möglich war. Nicht so plump, dass man es gleich bemerkt hätte, so dumm war er auch wieder nicht. Er verkaufte eine Ladung Pfeffer, und der Inhalt der Fässer entsprach voll und ganz der garantierten Qualität – doch die Fässer waren mit billigem Pech statt mit teurem Wachs versiegelt. Er beschäftigte Notare, die vorsätzlich Fallen in die Verträge formulierten, und wenn er einen Konkurrenten nicht auf legalem Weg ausstechen konnte, dann versuchte er ihn zu kompromittieren. Angeblich hatte er mehr Lustknaben angestellt, als er Schreiber hatte.«
»Was hat ihn zu Fall gebracht?«
»Ich weiß, dass Herr Hoechstetter ihn buchstäblich im letzten Augenblick dort unten rausgeholt hat. Sonst hätte man ihn wohl in einer der Gassen Bolognas mit durchschnittener Kehle gefunden statt hier.« Sie verzog den Mund – ob aus Verachtung oder aus Abscheu über die Umstände des Todes von Martin Dädalus, ließ sich nicht sagen. »Er hat sich in irgendeine politische Sache eingemischt, so viel ist sicher. Die Republiken dort unten bekriegen sich doch untereinander und alle gemeinsam mit dem Papst in Rom. Dädalus hat sich einen Schuh angezogen, den der Schuster für einen größeren Fuß gemacht hatte. Ich glaube, Herr Hoechstetter hatte Angst, das gesamte Geschäft in Italien könnte ruiniert werden. Also hat er die Filiale in Bologna geschlossen.«
»Und schickt seinen Sohn nach Venedig, um den Italienhandel über diese Achse weiter zu pflegen.«
Sie lächelte. »Das würden Sie und ich genauso machen, oder nicht?«
Die Alte kreischte: »Keine Petersilie, keinen Portulak, und das Maul voller Pferdemist!« Sie lehnte sich so weit sie konnte auf ihrem Fässchen nach vorn und hieb nach dem jungen Mann. Dieser wirbelte herum und schrie plötzlich auf mit all der Lautstärke, die eine gequälte Seele in einem unzulänglichen Körper aufzubringen vermag. Er wich ihrer Hand aus und hob eineFaust. Die Alte schlug ein Luftloch, verlor das Gleichgewicht und rutschte von ihrem Fässchen auf den Boden. Sie schrie Zeter und Mordio. Hatten wir bislang im Nebel wie auf einer einsamen Insel gestanden, Elisabeth, das ungleiche Paar hinter dem Verkaufsstand und ich, so drängten jetzt weitere Marktbesucher heran. Der Gestank lockt die Fliegen an und menschliches Wehgeschrei die Gaffer. Der junge Mann packte die alte Frau mit beiden Händen an den Schultern und riss sie in die Höhe, und ich machte unwillkürlich einen Schritt nach vorn, sie hatte es verdient, wenn er ihr den Kopf abriss, keine Frage, um Schlimmeres zu verhindern, aber Elisabeth hielt mich fest. Der junge Mann setzte die Alte zurück auf das Fässchen; sie begann mit weit aufgerissenem Mund zu weinen wie ein Klageweib, dem man ein gutes Trinkgeld versprochen hat, und tätschelte die kräftigen Arme des jungen Mannes, heiser wehklagend und sogar das Gekrächze der Raben übertönend.
»Ihre Beine sind gelähmt«, sagte Elisabeth, während ein paar Neugierige gegen uns stießen und enttäuschte Gesichter machten, dass der Aufstand schon vorbei war, ehe er angefangen hatte. »Im Morgengrauen trägt er sie auf dem Buckel hierher, die Körbe an einem Lederband zwischen den Zähnen und die Platte und die Böcke unter den Armen. Wenn er alles verkauft hat, trägt er sie auf die gleiche Weise nach Hause. Dazwischen ruft er die Waren aus, die er nicht hat, und sie macht ihm die Hölle heiß wegen seines Sprachfehlers, für den er nichts kann.«
»Ist sie seine Mutter?«
Elisabeth zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie ist so verrückt wie eine Ratte auf dem Abtritt, aber sie ist alles, was er hat.«
»Warum haben Sie mir vertraut?«, fragte ich.
»Warum hat Bischof Peter Ihnen vertraut?«
»In Wahrheit bin ich hier, um eine alte Sünde ungeschehen zu machen und eine neue zu beichten. Ich suche nach meiner Tochter, denn sie ist es, der ich diese Sünden angetan habe.«
Elisabeth atmete langsam ein und wieder aus. Dann drücktesie mir den Korb in die Hände und wandte sich um. Ich folgte ihr in den Nebel hinein, während das schluchzende Krähen der Alten hinter uns langsam leiser wurde und der junge Mann rief: »Paschnaaak, Porlaaak, Persiiiiliiie!«
»Meine Tochter heißt Maria. Ihr Mann war Fernkaufmann für Ulrich Hoechstetter. Er starb, und sie verließ das Haus, in dem sie gemeinsam gewohnt hatten. Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt aufhält, aber ich weiß, dass ich Augsburg nicht eher verlassen werde, bis ich
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