Das Spiel des Saengers Historischer Roman
sich um. Der Nebel war lichter geworden, man konnte bereits im Dunst die Wasser des Rheins schimmern sehen. Auf den Feldern arbeiteten die Bauern, in den Weingärten banden die Winzerknechte Reben auf. Drei Frachtkarren, von schweren Gäulen gezogen, brachten ihre Ladung zum Ufer, wo sie vermutlich auf die Fähre gebracht wurde, damit die Ware auf den Kölner Märkten verkauft werden konnte. Ein Falkenpärchen kreiste in der diesigen Luft, und ein missgelaunter Esel schrie seinen Protest in die Welt.
Nachdem Engelin das alles ausreichend betrachtet hatte, widmete sie sich ihrem jungen Begleiter. Er lehnte anmutig an der Zinne und beäugte sie ebenfalls. Es machte ihr nichts aus. Er war ein ansehnlicher Jüngling geworden. Er war schon ein hübscher Junge gewesen, damals, als sie ihn in Lahnstein kennengelernt hatte. Dreizehn war er in jenen Tagen und bestand überwiegend aus Armen und Beinen, aber sein Gesicht war ebenmäßig, leicht gebräunt, seine dunklen Augen von langen Wimpern umgeben, sein Lächeln frech und seine Bewegungen alles andere als linkisch, wie seine noch unausgewachsenen Glieder es hätten vermuten lassen.
Das freche Lächeln war noch immer da.
»Gefällt Euch, was Ihr seht, wohledle Herrin?«
»Du hast dich gut rausgewachsen.«
»Du auch!«
»Ah pah. Ich war damals schon ausgewachsen.«
Er legte den Kopf ein wenig schief, und sein Grinsen wurde neckisch.
»Du warst eine Kröte.«
Sie packte ihn bei der Nase und drehte sie kräftig.
»Autsch.«
»Was war ich?«
»Eine süße Maid?«
Engelin lachte und ließ ihn los.
»Gibst du so schnell auf?«
»Meine Nase ist mir wichtig, Herrin. Ich will nicht, dass sie krumm wird. Schließlich lieben die Weibsleute mein Gesicht.«
»Und deine Treue und Ritterlichkeit, deine Bescheidenheit und Ehrlichkeit.«
»Und meine Ausdauer und Manneskraft.«
»Ja, die vor allem«, spöttelte Engelin und dachte an Hardos Fähigkeiten auf diesem Gebiet.
»Fragt das Ännchen! Sie wird sie zu rühmen wissen.«
»Ein lockeres Ding, gleich ihrer Herrin«, grummelte sie.
»Doch jünger und heller an Witz.«
»Das wohl. Loretta ist ein dummes Huhn.«
»Ohne jeden Zweifel. Mein Herr hat es alsbald eingesehen, wenn du das wissen willst. Er hat es nicht nur so erzählt. Die Schnattergans hat kaum mehr als Entengrütze im Schädel, und das Einzige, worüber sie reden konnte, waren ihr Putz und ihre Kleider.«
»Und dann hat er sie durch den Wald geschleift.«
Engelin kicherte bei der Vorstellung. Ismael stimmte mit ein.
»Ihh, ein Regenwurm. Pfui, eine Spinne. Uhh, mit Quellwasser soll ich mich waschen. Sie war grässlich. Aber - Line, das hättest du doch bemerken können. Mein Herr war nur für kurze Zeit geblendet. Wenn du dageblieben wärst, hätte er sie noch schneller zum Teufel gejagt.«
»Ich war ein Kind für ihn, Ismael.«
»Ja, wahrscheinlich. Ich sah es anders - aber na ja, ich war ein Kind für dich.«
»Oh.«
Dieser Gedanke war Engelin noch nie gekommen. Drei Jahre jünger war Ismael, doch sein hartes Leben hatte ihn früh erwachsen werden lassen.
»Nun bist du kein Kind mehr. Aber mein Herz gehört noch immer Hardo.«
»Und das meine ist nicht gebrochen. Aber Line, verrätst du mir, wohin du damals so heimlich verschwunden bist? Ich habe dich überall gesucht, in jeder Schenke, in jeder Herberge, sogar in den Hurenhäusern. Ich hatte Angst um dich.«
Engelin machte einen Schritt auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihm die Wange. Ganz leichter, dunkler Flaum kitzelte ihre Lippen.
Höflich und achtungsvoll hielt Ismael sie umfangen.
»Danke, Line.«
Sie machte sich los und lehnte sich an die Zinne. Einige Sonnenstrahlen durchbrachen die Wolkendecke. Eine Schar Enten zog schnatternd vorbei und landete platschend unten im Wassergraben.
»Ich war gekränkt, Ismael. Zutiefst gekränkt. Also beschloss ich, das zu tun, was ich von Anfang an vorhatte - ich wollte meine Verwandten in Koblenz aufsuchen. Von Lahnstein ist das nicht so weit, und ich machte mir einen Plan.«
»Der muss ziemlich gut gewesen sein, dass ich ihn nicht entdeckt habe.«
Engelin grinste.
»O ja, er war gut. Als Erstes überlegte ich mir, wie ich am leichtesten dort hinkäme. Alleine und zu Fuß schien es mir zu beschwerlich und auch zu gefahrvoll. Die einfachste Art bestand darin, auf einem Schiff dorthin zu reisen. Aber auch das war für eine vornehme Jungfer, als die ich mich ja inzwischen ausgab, alleine nicht möglich.«
»Zumindest nicht als ehrbare
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