Das Spiel des Saengers Historischer Roman
erschüttert.«
»Ein Weib.«
Ich nickte.
»Unberechenbar.«
»Von frommer Natur.«
»Bestimmt ein Vorbild für ihre Novizinnen.«
Ismael, der wiederum mit untergeschlagenen Beinen auf meiner Bettstatt saß, machte eine kleine, beinahe unmerkliche Bewegung. Dem einäugigen Ritter entging sie nicht. Und ich wusste, was dem Jungen auf den Lippen brannte. Nun gut, er sollte seinen Auftritt haben. Aber nicht sofort.
»Ihr macht Euch Gedanken, warum einer der Anwesenden einen Grund gehabt haben könnte, den Burgvogt zu ermorden, Herr Ulrich?«
»Ja, das tue ich. Und Ihr auch, Meister Hardo.«
»Natürlich. Nur - in die Seele der Menschen zu schauen ist weit schwieriger, als ihre leibliche Gegenwart zu verfolgen. Mich interessiert viel mehr, wer sich wo aufgehalten hat, als der Sigmund vom Turm fiel. Einzig van Dyke und seine Tochter befanden sich in unmittelbarer Nähe, als es geschah.«
»Und beide hegten zumindest einen Groll gegen den Toten. Wollt Ihr Jungfer Engelin dem Henker ausliefern?«
Wenn mich diese Äußerung reizen sollte, verfehlte sie ihre Wirkung. Aber nur knapp.
»Wisst Ihr, Herr Ulrich, inzwischen, wo sich die anderen ehrenwerten Gäste im Einzelnen befanden?«
»Ich habe mich um die Wachen gekümmert, Meister Hardo. Sie zumindest waren auf ihren Posten. Auch der missgestalte Secretarius des van Dyke weilte unter ihnen. Vier Mann von ihnen bezeugten es.«
»Stimmt«, sagte Ismael. »Er ist ganz wild darauf, Hellebarden, Schwerter, Armbrüste und Äxte zu begutachten. Darum hat er den Hauptmann gebeten, die Waffenkammer aufsuchen zu dürfen, und hat dort den alten Waffenmeister um den Verstand gefragt.«
»Eine kriegerische Seele in einem missgestalten Körper.«
»Verachtet Ihr ihn, Herr Ulrich?«
»Nein.«
So langsam kam es mir vor, als ob der Ritter eine unsichtbare Rüstung trug, deren schwere Panzerung keiner meiner Pfeile durchdringen konnte. Und sein Visier hatte er ebenfalls geschlossen, so wenig konnte man in seinem Gesicht lesen. Nun, vielleicht gelang es Ismael, einen kleinen Spalt in der harten Schale zu öffnen, wenn ich ihm erlaubte, seine Beobachtungen zu schildern.
»Die Wachen und Puckl also sind vom Verdacht befreit, den Vogt vom Bergfried gestoßen zu haben. Wie steht es mit den anderen Gästen?«
»Ich habe sie natürlich befragt, aber glaubt Ihr denn, Meister Hardo, einer von ihnen würde zugeben, auf dem Turm gewesen zu sein?«
»Nein. Aber es sollte ja wohl tunlichst ein jeder einen Zeugen für seinen Aufenthalt haben.«
Der Ritter schnaubte.
»Haben sie aber nicht.«
»Oder sagen sie nicht. Wer war wo?«
»Die Äbtissin hielt sich allein in ihrer Kemenate auf und widmete sich frommer Andacht. Der Stiftsherr behauptet, er habe mich in meinem Gemach gesucht, um eine Frage des Lehens zu besprechen. Der feine Höfling verkostete Wein im Weinkeller, der Pächter Cuntz wollte in den Ställen gewesen sein, der Kaplan weilte allein in seiner Wohnung. Der Domgraf gab an, auf dem südlichen Wachturm die Aussicht genossen zu haben, Jonata war in den Vorratsräumen beschäftigt. Ida kümmerte sich um das Spalierobst, und der edle Doktor Humbert erging sich im Lichhof und sprach ein Gebet am Grab seines Bruders Eberhart.«
»Ein jeglicher ganz für sich. Dennoch lügen zumindest zwei von ihnen.«
»Vermutlich mehr, aber nicht alle haben sich auf dem Bergfried versammelt, um den Mord zu begehen.«
»Nein, man lügt auch aus anderen Gründen. Mein getreuer Gefolgsmann wird für zwei Männer bürgen, deren Aufenthaltsort er bezeugen kann.«
Der Ritter sah Ismael überrascht an.
»Du hast jemanden in der Kapelle getroffen? Ich erinnere mich, dass du aus der Tür gelaufen kamst, als das Edelfräulein schrie.«
Ismael nickte und setzte sich in Pose. Um seine Geschichte zu erzählen, legte er sogar sein angebissenes Brot beiseite. Wie er seine Entdeckung des unkeuschen Tuns der beiden ehrenwerten Herren schilderte, zeugte von einem nicht unbeträchtlichen Talent an Erzählkunst. Ich war stolz auf ihn.
Als er mit der Weihwasserwaschung geendet hatte, brach Ritter Ulrich tatsächlich in schallendes Gelächter aus.
»Sancta Maria! Nun, das ist ein bemerkenswerter Nachweis der Unschuld.« Aber dann wurde er plötzlich ernst. »Dennoch - vielleicht nicht gänzlich überraschend, nicht wahr, Meister Hardo?«
Ich zuckte mit den Schultern, sagte aber nichts. Ismael, der Junge mit dem flinken Verstand, nahm mir auch prompt die Rede ab.
»Ich habe mich schon den ganzen
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