Das Spiel des Saengers Historischer Roman
weil sie gestolpert war und an meinen Arm gestoßen ist.«
»Darum wurde sie harsch und hat Euch weggeschickt?«
»Ja, ich sollte verschwinden und nicht eher zurückkommen, bis ich den hundertneunzehnten Psalm auswendig hersagen kann. Und der ist doch so lang.«
»Das güldene ABC, o ja, der ist sehr lang.«
»Ich kann ihn noch immer nicht, weil … da war doch das mit Sigmund.«
»Richtig. Wart Ihr eigentlich ganz alleine im Garten, oder hat Euch jemand gesehen?«
Hildegunda errötete und starrte auf ihre Hände.
»Oder habt Ihr jemanden gesehen?«, hakte Casta nach.
Die Finger des Mädchens verwickelten sich miteinander.
»Ihr habt jemanden im Garten gesehen. Wer immer hier
war, Hildegunda, konnte den Vogt nicht vom Bergfried stürzen. Also wäre es sehr hilfreich, wenn Ihr uns sagen würdet, wer es war.«
Die Schultern der Novizin zuckten, in ihrem geröteten Gesicht spiegelten sich Scham und Verzweiflung, und Engelin spürte eine leise Heiterkeit in sich aufsteigen.
»Der Ritter hat uns verkündet, dass zweimal zwei Personen vom Verdacht des Mordes befreit sind, jedoch stattdessen Unzucht getrieben haben. Habt Ihr etwa ein Paar beobachtet, das sich unkeuschen Tuns hingab?«
Hektisch nickte das Mädchen.
»Ihr braucht uns nicht zu erzählen, was sie getan haben, Liebes. Nur wer es war. Bitte Hildegunda«, schmeichelte Engelin.
»Die … die Frau Ida und … und der Domgraf. Er hat sie im Arm gehalten und … und sie gekost.«
Engelin und Casta sahen sich ungläubig an.
»Ich denke nicht, dass das sehr unkeusch war, Hildegunda. Es gibt ganz bestimmt einen anderen Grund dafür. Hat einer von beiden Euch gesehen?«
»Nein, nein, ich glaube nicht. Ich habe mich ganz hinten an die Wand gedrückt, da, wo der Wehrgang anfängt. Und als der Aufruhr begann, waren die beiden schon vor mir aus dem Garten gelaufen.«
»Gut. Dann solltet Ihr das am besten Herrn Ulrich berichten.«
»Das … das kann ich nicht. Ich darf nicht mit ihm sprechen.«
»Warum …?«, fragte Engelin erstaunt.
»Das erkläre ich dir gleich, Engelin. Ist gut, Hildegunda, wir kümmern uns darum. Am besten geht Ihr jetzt wieder zu meiner Mutter nach oben und helft ihr, sich für die Beerdigung zurechtzumachen. Sonst regt sie sich nur noch mehr auf.«
»Ja, ja, da habt Ihr recht.«
Und wie beschworen gellte oben aus dem Fenster des
Palas die Stimme der Äbtissin, die herrisch nach der Novizin rief. Hildegunda huschte davon.
»Armes Geschöpf. Mutter kann dämonische Launen entwickeln. Ich habe meinen Anteil heute auch schon abbekommen.«
»Womit hast du ihren Ärger erregt?«
»Indem ich gestern Abend eine Weile mit dem Sänger auf der Galerie musiziert habe und mich dann mit ihm unterhielt. Über Musik, Engelin, nichts weiter.«
»Er ist ein Weiberheld.«
»Er war höflich und züchtig. Was hast du nur gegen ihn? Ich glaube sogar, dass er Herrn Ulrich sehr wohl hilft, den Tod des Vogts aufzuklären. Nur …«
»Er ist ein loses Mannsbild, und ich kann deine Mutter verstehen.«
»Nein, Engelin, das ist er nicht. Er tritt ein wenig geziert auf, aber muss das nicht jeder Barde und Sänger - sich ein wenig spreizen? Außerdem war das nicht der Grund dafür, dass sie mir verboten hat, auch nur in seine Nähe zu kommen.«
»Nicht, sondern?«
»Sie glaubt, er sei der Sohn des Mannes, der meinen Vater ermordet hat.«
»Was?«
»Na ja, sie kennt ihn von früher.«
Engelin machte den Mund auf und schloss ihn wieder.
Das war ihr vollkommen neu. Heilige Mutter Gottes - davon hatte er nie gesprochen.
»Er ist hier auf der Burg geboren. Der Sohn des Stallmeisters und ihrer Hofdame. Ich habe ihn allerdings nicht erkannt. Damals gehörte er einfach irgendwie zu den vielen Kindern, die hier herumliefen. Außerdem war ich noch klein. Aber meine Mutter hat ihn wohl gestern an irgendetwas erkannt.«
Engelin wollte etwas sagen, presste aber entschlossen die Lippen zusammen. Immerhin war die Äbtissin Castas Mutter,
und wenn sie ihre Meinung zu dieser Frau kundtat, war es vermutlich vorbei mit ihrer Freundschaft.
Versonnen fuhr Casta jedoch fort: »Ich hätte stutzig werden müssen, als er das Lieblingslied meines Vaters auf der Flöte angestimmt hat. Mein Vater hat übrigens auch gerne die Laute gespielt, und er hatte ein wunderschönes Instrument, zumindest in meiner Erinnerung. Aber er hat es mich nie in die Hand nehmen lassen. Es war wohl recht kostbar.«
Damit versank auch Casta in tiefes Nachsinnen.
Engelin aber schüttelte sich
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