Das Spiel des Saengers Historischer Roman
entwirre du jetzt deinen Faden, Ismael, damit der Ritter erkennt, welche Rolle du in dem Spiel innehast.«
»Na gut, aber ich muss dazu meine Kehle schmieren.«
Er hielt mir den Becher hin, und ich füllte ihn aus dem Krug.
Arroganz hatte er auch schon geübt, der Frechdachs.
»Hebt an, Meister Ismael!«, forderte ich ihn auf.
»Ähm - ja. Also, ich bin der Enkel eines heldenhaften, frommen Kreuzritters, der einst in die Levante zog. Dieser würdige Herr fand dort ein schönes, tugendhaftes Weib, das er zu seiner Frau nahm. Er brachte sie mit in sein Heimatland und lebte mit ihr auf einer prächtigen Burg. Sie bekamen sieben Kinder, die alle bezaubernd schön waren. Ihre Augen glänzten dunkel wie schwarze Kirschen, ihre Haare umrahmten in vollen Locken ihre Antlitze, ihre Haut war sanft gebräunt, ihre Glieder lang und geschmeidig. Die vier Jungfern fanden edle Gatten unter den Grafen und Herzögen des Landes, die drei Knaben wurden zu Rittern erzogen und machten sich in unzähligen Schlachten um die Krone verdient. Der Jüngste unter ihnen ehelichte eine liebliche Maid aus altem angesehenem Geschlecht, und bald darauf kam ihr erster Sohn zur Welt. Ich!«
Ismael schlürfte seinen Wein, und der Ritter starrte ihn ungläubig an.
»Fahr fort, Ismael«, forderte ich den Jungen auf.
»Ich wuchs auf, umgeben von Fürsorge und Freundlichkeit. Meine Kleider waren aus Samt und Seide, ich hatte ein Pferdchen und goldlockige Hunde und Diener, die mir jeden Wunsch von den Augen ablasen. Doch das Schicksal ist unbarmherzig. Meine Großeltern reisten noch einmal in die Levante, um die Familie meiner Großmutter aufzusuchen. Als sie zurückkamen, versammelte sich die ganze Familie auf ihrer Burg. Und drei Wochen später waren alle bis auf mich und einen knorrigen alten Wächter der Seuche erlegen, die ein levantinischer Diener eingeschleppt hatte. Damals war ich eben acht Jahre alt, und der Wächter war der Einzige, der sich um mich kümmerte. Wir zogen von der Burg fort und fristeten unser Leben mit Tagelöhnerarbeiten, aber oft waren wir so hungrig, dass wir aus der Not
heraus unser Brot erbetteln oder gar stehlen mussten. Dabei wurde mein Freund ertappt, und man hackte ihm die Hand ab. Daher musste fürderhin ich alleine für unser Leben sorgen.«
Ismael seufzte dramatisch.
Ulrich hatte eine Augenbraue hochgezogen. Er wirkte heimlich erheitert.
»Der Zufall wollte es, dass ich Fortuna begegnete und sie meine Begabung erkannte. Nun, den Rest wisst Ihr, Herr Ulrich.«
»Eine eindrucksvolle Geschichte, Jung Ismael. Wenn ich mich recht entsinne, ist der letzte Kreuzzug in die Levante zwar weit über einhundert Jahre her, aber deine Familie mag ein sehr zählebiges Geschlecht sein, denn sicher war dein Großvater bereits im Erwachsenenalter, als er gegen die Ungläubigen auszog.«
Ismael sah mich vorwurfsvoll an.
»Ihr habt gesagt, kaum einer würde das nachrechnen.«
»Womit wir feststellen dürfen, dass der edle Ritter Ulrich von der Arken nicht ›kaum einer‹ ist, sondern ein erstaunlich gutes Zahlenverständnis hat. Du hättest deinen Ahnherrn zu deinem Urgroßvater machen sollen.«
»Pfff.«
Ulrich lachte leise.
»Eine gute Geschichte ist immer ein Gewebe aus Wahrheit und Lüge, nur so wird sie glaubhaft. Den Levantiner nehme ich dir ab, Ismael, aber nicht den Kreuzritter. Eher einen Händler.«
»Noch nicht mal das, Herr Ulrich. Weiß der Teufel, woher ich die schwarzen Haare hab. Vermutlich direkt aus der Hölle. Soweit ich mich erinnern kann, war meine Mutter recht dunkel. Mein Vater war ein abtrünniger Mönch, der als Wanderprediger den Leuten Angst einjagte, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und was sie nicht freiwillig herausrückten, um das erleichterte meine Mutter sie. Aber die andere Geschichte gefällt mir besser.«
»Ohne Zweifel.«
»Besser sogar noch als die, die ich Eurem Knappen und Puckl erzählt habe.«
»Welche war die?«, fragte ich, denn ich kannte ein Halbdutzend Variationen zu diesem Thema, eine farbenprächtiger als die andere.
»Oh, der Sklavenjunge aus Damaskus.«
»Zu Herzen gehend, ja.«
»Und leider weit von der grauen Wirklichkeit entfernt.« Ismael verbeugte sich zum Ritter hin. »Meine Eltern und ich waren häufig auf der Flucht, Demütigungen und Strafen waren unsere ständigen Begleiter. Mein Vater schloss sich allerdings tatsächlich Fortunas Bande an, als ich so ungefähr acht Jahre alt war. Meine Mutter hatte mir schon sehr früh das Beutelschneiden
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