Das Spiel des Schicksals
sie – ausfindig zu machen, kann Monate dauern.«
»Nicht unbedingt«, sagte Cat.
»Was sagst du da?«, fragte Flora scharf. »Kennst du etwa die besagte Person? Oder weißt, wo wir sie finden können?«
Cat wartete, ehe sie antwortete. Irgendetwas war ihr die ganze Zeit im Kopf herumgespukt, und jetzt wollte sie die Sache klären. »Ich glaube schon. Aber zuerst will ich von dir wissen, warum du uns nicht erzählt hast, dass du den Schlüssel schon ausprobiert hattest.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, dass ich dich da unten in der Krypta beobachtet habe. Und ich habe gemerkt, dass das, was wir da gefunden haben, dich nicht im Mindesten aus der Fassung brachte.«
Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Flora alles abstreiten. Dann schien sie sich eines Besseren zu besinnen. Sie rang sich sogar ein verlegenes Schulterzucken ab. »Also schön«, sagte sie. »Also schön, ich gebe zu, dass ich erst einmal keinen Grund gesehen habe, euch beiden von dem Schlüssel zu erzählen. Ich war also gestern im Temple House und habe den Schlüssel in das Schloss in der Spiegeltür gesteckt.«
Cat verschränkte die Arme vor der Brust. »Und was dann?«
»Ich ging die Treppe hinunter und kam in die kleine Kammer. Aber die Karten auf dem Tisch … nun, sie waren anders. Vier Narren, und in der Mitte der Trumpf des Mondes. Dann dachte ich wieder an die vierte Person in dem Spielzug im Trumpf des Mondes, an die Münze mit der Null, und mir wurde klar, dass ich das nicht allein durchziehen konnte. Wenn das Arkanum dir ein Zeichen gibt, dann solltest du das niemals ignorieren.« Ihr Lachen klang etwas zittrig. »Ich habe nicht einmal hinter
den Vorhang geschaut. Ich bin geradewegs wieder die Treppe hochgegangen, um erst dann wiederzukommen, wenn ich euch beide gefunden hatte.«
»Heißt das, du wusstest bereits, was der Gehängte da unten zu bedeuten hat?«, wollte Toby wissen.
»Nein. Natürlich kennt jeder, der einmal ein Tarotspiel durchgeblättert hat, diese Karte. Aber zu wissen, welche Rolle er in dem Spiel einnimmt, ist etwas ganz anderes. Und es gab immer Gerüchte über eine Karte, die nie ausgegeben wird, eine, die alle Schwellen öffnet und jenseits aller Regeln steht … Aber die meisten Gerüchte im Arkanum sind falsch – kaum ein Spieler hat Interesse daran, Tipps auszutauschen oder einem anderen seine Geheimnisse anzuvertrauen, und wenn es einer doch einmal versuchen sollte, sollte man ihm nicht vertrauen.«
Cat schnaubte.
»Hört zu, es tut mir leid, dass ich nicht ehrlich zu euch war. Aber sobald mir klar wurde, dass der Schlüssel und die Krypta etwas mit uns allen zu tun haben, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, euch die Sache nicht anzuvertrauen. Ich wollte euch nicht verraten, dass ich auf eigene Faust losgezogen bin, weil ich Angst hatte, dass ihr mir nicht mehr vertraut. Und ihr könnt mir vertrauen. Ich schwöre es.« Flora riss flehend die Augen auf.
»Also gut, schön.« Cat hielt ihre Stimme im Zaum. »Aber wenn ich versuche, unseren fehlenden Joker zu finden, und wenn wir dann beschließen, diese Sache … weiterzutreiben, dann müssen wir offen zueinander sein. Geheimnisse anvertrauen, Tipps austauschen und so weiter.«
»Du hast recht, und mir tut es leid«, sagte Flora demütig.
»Wir sind jetzt ein Team«, warf Toby ein. »Das Team Arkanum.«
»Genau.«
Cat erhaschte einen Blick auf sich selbst in dem zersplitterten Spiegel über dem Kamin. Sie hatte den Papierkorb bemerkt, in den man hastig die Scherben eines zerborstenen Glases geworfen hatte, erinnerte sich an das Klirren und die Schreie, die sie von Floras weißem Schlafzimmer aus gehört hatten. Was für ein Versprechen hielt Floras Karte für sie bereit? Welches Bild hatte Tobys Karte ihm gezeigt?
Das oberste Prinzip eines Strategiespiels war, dass man sich nicht in die Karten schauen ließ.
KAPITEL 11
Cat begann ihre Suche nach Blaine am Lieferanteneingang des Hotels Excelsior. Um sieben Uhr morgens herrschte dort ein geschäftiges Treiben: Die Arbeiter der Morgenschicht strömten in den Hof, und Lieferanten fuhren vor. Sie entschied sich, es bei einem stämmigen Mann zu versuchen, der das Entladen von Obstkisten aus dem Lieferwagen eines Gemüsehändlers überwachte. »Entschuldigen Sie, ich suche jemanden, der hier arbeitet. Sein Name ist Blaine, und … «
»Das ist hier kein Fundbüro, Kleine. Und auch keine Partnervermittlung.«
»Aber ich will doch nur … «
»Man kriegt nicht immer das, was man
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