Das Spiel des Schicksals
nichts zu bedeuten, aber … sollten die beiden nicht schon längst hier sein?«
Tatsächlich, es war schon fast Viertel nach drei. Aber im nächsten Moment hielt ein Taxi an, und Flora stieg aus. »Himmel, es tut mir so leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte sie atemlos. »Einer von Dads Golfkumpanen war zum Essen da, und sie konnten einfach kein Ende finden … Hattet ihr schöne Weihnachten?«
Fast unbemerkt war auch Blaine eingetroffen. Er tauchte aus dem Aufgang zur U-Bahn auf, direkt hinter Cat und Toby. Er hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen
und nahm einen Schluck aus einer Dose mit undefinierbarer Aufschrift. Bei Floras Worten spuckte er aus.
Flora ließ sich nicht so leicht beirren. »Hallo, Blaine«, sagte sie mit süßer Stimme. »Wie war dein Tag?«
»Klasse. Ich habe eine alte Dame ausgeraubt und mir von dem Geld Crack gekauft.«
Ihr Lächeln geriet nicht ins Wanken. »Wenn du versuchst, mich zu schockieren, dann musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.«
»Das würde voraussetzen, dass es mich kümmert, was du denkst.« Er warf die Dose in den Rinnstein. »Jetzt, da wir die Begrüßungsfloskeln hinter uns gebracht haben, können wir wohl anfangen, oder?«
Da die Karte bestimmte, was sie im Arkanum erwarten würde, hatte Cat angenommen, dass der Ort, an dem sie sich trafen, auch automatisch der sein würde, wo sie die Schwelle erschaffen konnten. Ihr gefiel die Symmetrie, die dem Ganzen anhaftete: Am Piccadilly Circus war sie dem Ritter der Stäbe zum ersten Mal begegnet; hier hatte sie der König der Schwerter mit der Statue der Gerechtigkeit zu verwirren versucht. Aber sie war nicht die Einzige, die die Schwelle an einem symbolischen Ort erschaffen wollte. Es stellte sich heraus, dass Flora zum Mercury Square gehen wollte, während Toby sich für den Admiralty Arch aussprach. »Ich fand schon immer, dass die Atmosphäre dort besonders triumphal ist – ihr wisst schon, Triumphbogen und so.«
»Lass mich mal den Würfel sehen«, verlangte Blaine plötzlich.
»Vorsicht«, sagte Toby. »Wenn du ihn geworfen hast, sind die vier Seiten komplett und – so hoffen wir jedenfalls – bereit, ihre Funktion zu erfüllen.«
Blaine schnickte den Würfel in die Luft. Und als er ihn wieder auffing, prangte auf der vierten und letzten Seite eine Null. »Wie nett. Also müssen wir nur einmal den Würfel rollen lassen, und – Sesam öffne dich! – eine Schwelle erscheint.«
»Vermutlich, aber wir wollen nicht … «
Zu spät. Blaine war schon in die Hocke gegangen und ließ den Würfel über den Asphalt rollen. Seine Pyramidenform führte dazu, dass er mehr sprang als rollte, aber trotzdem haftete seiner Bahn etwas Zielgerichtetes an. Sie schauten ihm nach, wie er von Kante zu Kante taumelte, einen ungefähren Kreis beschrieb und dann liegen blieb. Diesmal spürten alle das unmissverständliche Prickeln auf ihren Handflächen; die vier Seiten des Würfels schimmerten silbern und wurden dann schwarz. Jetzt war er nichts weiter mehr als ein Klumpen dunklen Metalls.
Floras Atem zischte. »Du hirnrissiger Blödmann.«
»Ach, reg dich ab. Wenn ich euch die Sache überlassen hätte, würden wir nächstes Jahr an Weihnachten noch hier stehen.«
»Also, wo ist die Schwelle?«, fragte Toby. »Darf ich derjenige sein, der die Münze hervorzaubert?«
»Bitte sehr.« Cat deutete auf ein Fast-Food-Restaurant ein paar Schritte entfernt auf der Shaftesbury Avenue. In der Neonreklame, die »HOT FOOD« anpries, hatte sich das erste »O« zu dem Bild eines Rades verwandelt.
Ein paar Sekunden später präsentierte Toby stolz seine Münze.
»Schaut, da ist auch eine Null drauf! Okay, Leute, lassen wir’s krachen!«
»Was, keine großen Reden?«, höhnte Blaine. »Kein Händchenhalten, keine Henkersmahlzeit? Wie wär’s mit ’nem Burger?«
»Wenn du eine Rede schwingen willst, nur zu«, erwiderte Flora. »Bitte schön. Ich bin mir sicher, dass es ein inspirierendes Erlebnis wäre.«
Cat, die auf den Asphalt gestarrt hatte, schaute hoch. »Lasst doch den Quatsch mit Henkersmahlzeiten oder großen Reden. Aber wenn einer von uns plötzlich Bedenken hat, diese … Sache, die wir vorhaben, durchzuziehen, wäre jetzt wohl der richtige Zeitpunkt, um damit rauszurücken. Denn wenn wir die Münze erst geworfen haben, ist es zu spät.«
Sie wartete. Ein Motorrad dröhnte vorbei, eine Frau kicherte in ein Mobiltelefon, Tauben pickten im Rinnstein nach Brotkrumen. Keiner sprach. Langsam, zögernd,
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