Das Spiel
Gegensprechanlage. An der Wand hinter uns lehnt ein leuchtendblaues Schild. Darauf sind mit Schablonen Buchstaben und Zahlen gemalt.
EBENE STATIONSCODE
Spitze 1 -1
Rampe 1-3
200 2-2
300 2-3
800 3-3
Die Liste führt alle fünfundsiebzig Ebenen auf. Wir befinden uns hier auf der Rampe. Die Liste endet mit folgenden Zahlen:
EBENE STATIONSCODE
7700 12-5
7850 13-1
8000 13-2
Die Achttausend-Fuß-Ebene. Zweitausendsiebenhundert-fünfzig Meter. Stationscode: Dreizehn - zwo. Der Kerl mit dem tonlosen Akzent hat sie vor kaum zwei Minuten als Ziel angegeben. Das bedeutet, da unten spielt die Musik. Dreizehn - zwo. Unser nächstes Ziel. Ich drehe mich zu Viv um.
Sie starrt immer noch auf das blaue Schild und die Zahl 8000. »Beeil dich und ruf ihn«, murmelt sie. »Wenn wir da unten steckenbleiben!« droht sie und klingt wie ihre Mom. »Bete darum, daß Gott dich holt, bevor ich dich erwische.«
Ich verschwende keine Zeit, nehme den Hörer ab und werfe einen kurzen Blick an die Decke. Keine Kameras zu sehen. Also habe ich einen gewissen Spielraum. Ich wähle die vierstellige Nummer, die am unteren Rand des rostigen Keyboards angebracht ist. 4881. Die Tasten kleben, als ich sie drücke.
»Lastenaufzug ...«, antwortet eine Frau.
»Hi, hier spricht Mike.« Ich gehe das Risiko ein. »Ich brauche eine Fahrt nach dreizehn-zwo.«
»Mike wer?« fragt sie unbeeindruckt. Ihrem Akzent nach ist sie eine Einheimische. Mein Akzent sagt ihr, daß ich keiner bin.
»Mike«, wiederhole ich nachdrücklich und tue, als wäre ich verärgert. »Von Wendell.« Wenn die Wendell-Leute gerade erst hier eintrudeln, dürfte sie solche Gespräche jeden Tag führen. Sie macht eine kleine Pause. Ich kann fast ihr Seufzen hören.
»Wo sind Sie?« erkundigt sie sich.
»Auf der Rampe.« Ich lese es von dem Zeichen ab.
»Warten Sie da ...«
Als ich mich zu Viv umdrehe, greift sie in ihre Tasche und zieht ein Metallgerät heraus, das aussieht wie ein dünner Taschenrechner, nur ohne Tasten.
Als sie meinen Blick sieht, hält sie das Gerät hoch, damit ich es betrachten kann. Unter dem kleinen Display ist ein Knopf, auf dem steht: 0 2 %. »Ein Sauerstoff-Detektor?« frage ich. Sie nickt. »Woher hast du den?«
Sie deutet über ihre Schulter auf das Regal. Die schwarzen Zahlen auf dem Bildschirm zeigen 20,9.
»Ist das gut oder schlecht?«
»Das versuche ich gerade herauszufinden«, erwidert sie und liest die Instruktionen auf der Rückseite. »Hör dir das an: Warnung: Sauerstoffmangel kann unbemerkt bleiben und verursacht sehr schnell Bewußtlosigkeit und I oder Tod. Überprüfen Sie häufig den Detektor. Du wirst verdammt...«
Sie wird von einem gigantischen Rumpeln unterbrochen. Es hört sich an wie ein Zug, der in einen Bahnhof einläuft. Der Boden fängt an zu vibrieren. Ich spüre es in der Brust. Die Lichter flackern unmerklich, so daß Viv und ich uns zu dem Aufzugschacht herumdrehen. Es kreischt, als die Bremsen fassen und der Korb auf uns zu rattert. Diesmal rauscht er nicht durch die Decke, sondern hält vor uns. Ich schaue durch das Fenster der gelben Stahltür, doch in dem Fahrkorb ist kein Licht. Es wird eine dunkle Fahrt in den Orkus.
»Sehen Sie ihn?« fragt die Frau in der Zentrale sarkastisch.
»Ja ... Er ist angekommen«, antworte ich und versuche das Protokoll zu erinnern. »Käfig hält.«
»Gut, gehen Sie rein und drücken Sie die Gegensprechanlage«, sagt sie. »Vergessen Sie nicht, sich aufzuhängen, bevor Sie runtergehen.« Bevor ich sie fragen kann, erklärt sie: »Das Bord hinter dem Telefon.«
Ich lege den Hörer auf und trete hinter die schmale Wand, an der das Telefon und der Feueralarm angebracht sind.
»Alles okay?« fragt Viv.
Ich antworte nicht. In die andere Seite des Brettes sind Nägel geschlagen worden und von eins bis zweiundfünfzig durchnumeriert. Von den Nägeln 4,31 und 32 hängen runde Metallscheiben herunter. Es sind also drei Männer in der Mine, nicht gerechnet die, die ganz oben eingestiegen sind. Ich ziehe meine beiden Plaketten aus der Tasche. Beide tragen die Nummer 27. Eine in Ihre Tasche, die andere an die Wand.
»Ist das wirklich klug?« fragt mich Viv, als ich meine Plakette an den Nagel unter der Nummer 27 hänge.
»Wenn etwas passiert, ist das der einzige Hinweis, daß wir unten sind«, erwidere ich.
Zögernd
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