Das Steinbett
unbekanntem Terrain. Das Foyer von MedForsk war menschenleer und wirkte abweisend. Eine verwaiste Empfangstheke, drei Türen, die alle abgeschlossen waren, und eine kleine Sitzecke. Das war alles. Kein Ton, keine Anzeichen menschlicher Aktivität waren zu hören, und Lindell dachte, daß die gesamte Belegschaft vielleicht zu Hause geblieben war.
Eine Frau tauchte kurz hinter einer Tür auf, öffnete sie mit einer schnellen Handbewegung und sah Lindell fragend an.
»Ann Lindell von der Kriminalpolizei«, stellte sie sich vor und streckte die Hand aus.
Es war eine der Frauen auf den Fotos, die mit den hennafarbenen Haaren. Die Hand der Frau war so kalt wie der Raum, in dem sie sich aufhielten. Ihre Augen waren ausdruckslos und halb hinter einer Brille verborgen.
»Ja«, sagte sie, so als wäre es ihr gänzlich unverständlich, warum die Polizei einen Grund haben könnte, MedForsk zu besuchen.
»Ich untersuche den gestrigen Unfall.«
»Ich verstehe.«
»Und Sven-Erik Cederéns Verschwinden.«
»Ich bin bereits befragt worden.« Sie sah noch unzugänglicher aus als zuvor. Das blaue Kleid mit einer schmalen Silberschärpe um die Taille unterstrich das Schlangenhafte ihrer Gestalt. Die Arme hatte sie unter den kleinen Brüsten verschränkt.
»Ich weiß. Wir sind dabei, ein paar ergänzende Informationen einzuholen.«
»Wir hatten heute schon Besuch. Eine ganze Wagenladung Polizisten war heute morgen hier.«
»Wir versuchen eben, uns ein Bild vom Unternehmen zu machen.«
Die Frau ging um die Theke herum und griff nach einem dünnen Notizblock mit festem Einband. Auf dem Bleistift, der in einem Bügel auf dem Rücken des Blocks klemmte, war viel gekaut worden.
»Wir haben uns ein wenig aufgeteilt, und mir sind die drei weiblichen Angestellten bei MedForsk zugeteilt worden.«
»Zugeteilt worden«, wiederholte die Frau.
»Ich könnte gleich mit Ihnen anfangen, wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten?«
»Ich bin eigentlich sehr beschäftigt, und außerdem muß ich mich … aber wir können für einen Moment in den Pausenraum gehen.«
Die Frau klapperte zur nächsten Tür, tippte einen Code ein und hielt Lindell die Tür auf.
Der Pausenraum war überraschend familiär eingerichtet und lag zentral. Lindell konnte ein paar Büros erkennen und hinter einer Glastür einen Raum, der nach einem Laboratorium aussah.
Lindell holte ihren Notizblock heraus. Die Frau saß mit zusammengepreßten Knien, den Blick starr auf die Polizistin gerichtet, auf der Stuhlkante.
Sie hieß Sofi Rönn und war fünfunddreißig Jahre alt. Das wußte Lindell zwar schon, aber sie ließ die Frau dennoch über sich selber sprechen. Sie war seit fünf Jahren bei MedForsk angestellt. Damit gehörte sie bereits zu den Veteranen. Sie arbeitete in der Verwaltung und hatte mit der eigentlichen Forschungsarbeit nichts zu tun.
»Wie würden Sie Sven-Erik Cederén charakterisieren?«
Die Frau blieb einen Moment lang stumm.
»Er ist ein hervorragender Wissenschaftler, der viel erreichen möchte«, sagte sie schließlich.
»Was will er erreichen?«
»Er arbeitet Tag und Nacht«, erwiderte Sofi Rönn und sah Lindell an, als wäre alles andere gelogen. »Er kommt früh und ist immer einer der letzten, die gehen. Er reist viel, nimmt an Konferenzen teil und verfügt über ein breites Kontaktnetz.«
»Ist er beliebt? Ich weiß, daß es albern ist, die Frage so zu stellen, und ich verstehe sehr gut, daß Sie nichts Schlechtes über einen Arbeitskollegen sagen wollen.«
»Er ist beliebt. Wir mögen ihn alle.«
Zum ersten Mal geriet die kühle Fassade der Frau ins Wanken. Sie ließ ein wenig die Schultern hängen, ihr Blick löste sich von Lindell und richtete sich auf einen diffusen Punkt im Raum.
»Kannten Sie Josefin Cederén?«
»Ja, sie ist ab und zu hier gewesen, aber das war es dann auch. Wir sind uns nicht besonders oft begegnet.«
»Hatten Sie auch sonst Kontakt zu Sven-Erik Cederén?«
»Wie meinen Sie das?«
Sie schaute Lindell an.
»Privat, meine ich.«
»Wir sind uns auf Festen begegnet, die mit der Arbeit zusammenhingen, sonst nicht, wenn es das ist, was Sie meinen?«
»Ich meine nichts Besonderes, ich frage nur, ob Sie Kontakt zu Sven-Erik Cederén hatten und ihm ein wenig nähergekommen sind, wie man so sagt.«
Stille breitete sich im Raum aus. Nur langsam wurde Sofi Rönn klar, worauf Lindell mit ihren Fragen hinauswollte, und sie sah die Kommissarin mit einem kalten Blick an.
»Sven-Erik und ich hatten privat keinen
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