Das Steinbett
kurzsichtig in der Upsala Nya. Sorgsam faltete er die Zeitung zusammen, stand mit großer Mühe auf, brachte sein Tablett zum Geschirrwagen und bedankte sich höflich für die Mahlzeit. Die Frau hinter der Theke lächelte ihm zu.
Haver hatte mal wieder recht, dachte Lindell. Hier war sie bestimmt nicht zum letzten Mal gewesen. Hier war das Leben, das alltägliche Leben, das sie so dringend benötigte.
Richtige Menschen mit richtiger Arbeit, in Arbeitskleidung und mit Werkzeugen in den Taschen und Firmennamen auf dem Rücken. Menschen, die niemanden ermordet hatten.
Die aber unter Umständen regelmäßig ihre Frau verprügeln, dachte sie ketzerisch und schaute sich um.
Axel Olsson empfing sie barfuß. Er hatte nasse Füße; ein großer Zeh war stark deformiert. Olsson war sehr schmal, hatte ein asketisches Gesicht und Hände, mit denen er nicht so recht wußte, wohin.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte er schuldbewußt, »meine Frau liegt im Bett.«
Überhaupt entschuldigte sich Sven-Erik Cederéns Vater oft.
Nachdem er Strümpfe und Pantoffeln angezogen hatte, wobei er unzusammenhängend über Fußsalz und einen Besuch des Hausarztes redete, gingen sie ins Wohnzimmer. Meistens empfingen einen die Leute in der Küche, aber Axel Olsson hatte es eilig, die Küchentür zuzuziehen, und geleitete Lindell mit einer zaghaften Handbewegung weiter in die Wohnung hinein.
Es war schon länger nicht gelüftet worden. Die Möbel waren einmal kleinbürgerlich standesgemäß gewesen, auf eine Weise, die Lindell sehr vertraut war. Das große Büfett mit den Intarsienarbeiten auf den Türen, der Couchtisch und das verblichen dunkelrote Sofa, ein Bücherregal mit einer äußerst begrenzten Zahl von Büchern, dafür aber um so mehr Glasschalen, Fotos und Souveniren, zwei durchgesessene Sessel und ein Blumenständer mit einer fast vertrockneten Hängepflanze darauf.
Lindell betrachtete die Fotos, während der Mann sich nochmals entschuldigte. Sie sah den Sohn, die Frau des Sohnes und das Enkelkind in verschiedenen Versionen. Ein Dutzend ältere Fotos in braunen, ovalen Rahmen, vermutlich von verstorbenen Verwandten, nahm ein ganzes Regalbrett ein.
»Sven-Erik ist Ihr einziges Kind?«
Der Mann nickte.
»Ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen«, sagte er, »aber setzen Sie sich doch bitte.«
Er selber stellte sich an die Balkontür.
»Das macht doch nichts, ich kann verstehen, daß Sie im Moment anderes im Kopf haben.«
»Meine Frau ist kränklich.«
»Sie haben ein Enkelkind und Ihre Schwiegertochter verloren, ich verstehe schon«, sagte Lindell.
Der Mann sah verwirrt aus, zupfte an der Hängepflanze, schüttelte sie dann unerwartet heftig, und ein Schauer aus gelben Blättern regnete auf den Fußboden.
Die Olssons waren bereits am Vortag von der Polizei aufgesucht worden und hatten bei der Gelegenheit verneint, etwas über den Aufenthaltsort ihres Sohnes zu wissen.
»Sven-Erik hat sich nicht bei Ihnen gemeldet?«
»Ich verstehe das alles nicht«, erwiderte der Mann.
»Ich weiß, daß Sie über die Ereignisse nachgegrübelt haben, seit man Ihnen Bescheid gesagt hat. Ist Ihnen vielleicht etwas eingefallen, haben Sie eine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?«
Der Mann schloß die Augen. Er sah wie betäubt aus. Lindell schätzte, daß er etwas zur Beruhigung eingenommen hatte.
»Sven-Erik hat also nicht angerufen?«
Er öffnete die Augen, fixierte sie und sagte sehr langsam:
»Er ruft nicht so oft an.«
Lindell kam es vor, als könne der Mann jeden Moment im Stehen einschlafen.
»Er hat so viel zu tun«, fügte der Mann hinzu. »Wir haben es ihm gesagt. Er arbeitet sich noch tot.«
Axel Olsson ging zum nächstbesten Sessel und legte eine Hand auf die Rückenlehne. Er warf den Kopf in den Nacken, als wolle er zu einer Rede ansetzen.
»Er war nicht glücklich«, fuhr er fort und bemerkte, daß er von seinem Sohn in der Vergangenheit sprach. Er berichtigte sich sofort.
»Er ist nicht glücklich. Die Arbeit ist schuld.«
»War er glücklich mit Josefin?«
Der Mann zuckte zusammen. Die Nennung ihres Namens schien neue Kräfte in ihm zu wecken. Er ging um den Sessel herum, setzte sich, beugte sich zu Lindell vor und sah sie zum ersten Mal während ihres Gesprächs an.
»Sie hat ihn unter Druck gesetzt, verstehen Sie. Ständig wollte sie mehr. Diese Villa, Autos und neue Kleider. Sven-Erik konnte nicht nein sagen.«
Er verstummte ebenso schnell, wie er zu sprechen begonnen hatte, und senkte den
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