Das Steinbett
wieder auftauchte.
Sie konnte es nicht lassen, einen Blick auf seinen Schädel zu werfen. Vera ging hinein, um ein weiteres Gedeck zu holen.
Holger Johansson war in den Wochen seit ihrer ersten Begegnung gealtert. Er wirkte beinahe etwas verwirrt. Vielleicht nimmt er Medikamente, dachte Lindell.
Sie erzählte in aller Kürze, daß sie die Frau gefunden hätten, mit der Cederén sich getroffen habe. Holger Johansson sah nicht überrascht aus, hob nur den Blick und sah Lindell an, so als wolle er sagen: Ja sicher, es war doch alles Cederéns Fehler, es war seine Untreue, die meine Tochter und meine Enkelin getötet hat.
»Cederéns Freundin ist ebenfalls tot. Sie wurde ermordet.«
Der Mann setzte seine Tasse mit einem Klirren ab und starrte Lindell verblüfft an.
»Wie bitte?« brachte er heraus; Vera kam gerade zurück. In der einen Hand hielt sie das Gedeck und in der anderen einen Kuchenteller mit ein paar Stücken Biskuitrolle.
Lindell wiederholte, was sie gesagt hatte.
Vera blieb mit der Tasse in der Hand stehen. »War das die Frau, von der in der Zeitung stand?«
Lindell nickte.
»Der Kaffee«, sagte Holger Johansson, »schenk ihr eine Tasse Kaffee ein.«
»In der Zeitung stand aber nichts davon, daß es eine Verbindung zu Sven-Erik gibt«, sagte sie.
»Nein, das haben wir den Medien nicht gesagt.«
»Wie ist sie gestorben?« fragte Holger Johansson.
»Sie ist erwürgt worden.«
Es war seltsam, nicht sagen zu dürfen, daß Gabriella ein guter Mensch gewesen war, dem das Leben schwer zugesetzt hatte.
»Wie traurig«, sagte Vera und sah ihren Nachbarn flüchtig an, so als hätte sie sich versprochen.
»Ich muß Sie leider fragen, was Sie am Abend des 29. Juni gemacht haben.«
Sie haßte es, diese Frage zu stellen, und erklärte deshalb im nächsten Atemzug, daß sie es tat, weil sie es tun mußte.
»Ich verstehe«, sagte Holger Johansson. »Ich war wie immer zu Hause. Seit Josefin tot ist, habe ich das Haus praktisch nicht mehr verlassen.«
»Das kann ich bezeugen«, warf Vera schnell ein.
»Ich glaube Ihnen«, sagte Lindell.
»Ich muß Ihnen noch zwei weitere Fragen stellen. Welche Schuhgröße haben Sie?«
»44«, erwiderte Holger Johansson unerwartet schnell.
»Danke«, sagte Lindell und nahm einen ersten Schluck Kaffee.
»Sie sprachen von zwei Fragen.«
»Ja, meine letzte Frage mag Ihnen ein wenig seltsam vorkommen …«
»Als ob die Frage nach meiner Schuhgröße nicht schon seltsam genug gewesen wäre«, unterbrach Holger Johansson sie.
Lindell mußte lächeln. »Ich wollte Sie fragen, ob es eine Alkoholsorte gab, die Sven-Erik Cederén nicht vertrug, die er nicht trank?«
»Das weiß ich nicht, aber meistens trank er Whisky. Ohne Eis und Wasser. Wie viele Abende haben wir nicht hier mit unseren Gläsern zusammengesessen.«
Holger Johansson versank in Gedanken. Lindell warf Vera einen Blick zu.
»Er trank niemals klaren Schnaps oder Grog«, fuhr der Mann fort. »Reicht Ihnen das als Antwort?«
»Vielen Dank«, antwortete Lindell.
Sie blieb noch eine Viertelstunde. Als sie vom Tisch aufstand, fiel ihr etwas ein. »Sie hatten eine Zeitlang eine Haushaltshilfe, Maria Lundberg, haben Sie noch einmal mit ihr gesprochen, seit sie nicht mehr regelmäßig zu Ihnen kommt?«
»Nein«, erwiderte Holger Johansson fragend, »hätte ich das tun sollen?«
Vera stand auf und begleitete Lindell zum Auto. Als sie es fast erreicht hatten, griff Vera nach ihrem Arm.
»Sie müssen Holger entschuldigen, aber manche Dinge vergißt er im Moment einfach. Maria, die Haushaltshilfe, ist tatsächlich hier gewesen und hat ihn besucht.«
Lindell nickte.
Sie verließ die beiden alten Leute mit einem seltsamen Gefühl. Lag es daran, daß das Paar auf der Hollywoodschaukel sie an ihre eigenen Eltern erinnert hatte? Der gleiche Stillstand, der um sie herum in der Luft lag, das gleiche Klirren der Kaffeetassen und die gleiche, ein wenig traurige Passivität. Die Hollywoodschaukel hatte hin und her geschaukelt. Vera hatte ihr von Zeit zu Zeit mit dem Fuß diskret neuen Schwung gegeben. So war es wohl, sie sorgte für Bewegung. Holger Johansson schaukelte zerstreut mit, vielleicht war er sich dessen auch gar nicht bewußt. Daheim in Ödeshög war es genauso. Ohne kleine Bewegungen der Mutter, eingeübt im Laufe eines langen gemeinsamen Lebens mit dem Vater, würde ihr Elternhaus vollkommen erstarren.
»Er hat es nicht leicht«, sagte sie stets, wenn die Tochter darauf hinwies, daß ihr Vater ruhig etwas
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