Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
gewesen. Und deswegen war es dem Künstler gleichgültig, ob der Holzhändler sich an ihn erinnern würde oder nicht. Alois Lanz legte den verlangten Geldbetrag in die schmutzigen Hände des Schreiners und ließ sich versichern, dass die Ware im Laufe des Tages geliefert wurde. Mehrere massive Holzbalken und eine dicke Spule aus glatt poliertem Kiefernholz.
Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, ging Lanz in einen Laden für Jagd- und Fischereibedarf. Es war nicht allzu verdächtig, wenn man einen einzigen Angelhaken kaufte, nicht wahr? Lächelnd legte er die Münzen auf den Tisch und verlangte noch ein Stück dünnes Seil. Mit einer unscheinbaren Papiertüte trat er hinaus auf die Straße. Das Werkzeug – Hammer, Säge, Nägel und eiserne Winkel – wartete schon in seiner Wohnung auf ihn. Sobald der Schreiner die Ware geliefert hatte, würde er sich ans Werk machen. Doch zuvor gab es noch eine kleine Kapriole. Ein erfrischender kleiner Ausflug, das genaue Gegenteil dessen, was er für den Schlussakt geplant hatte. Ein Kinderspiel. Dazu brauchte er nichts weiter als einen Glasschneider und ein wenig Körperkraft.
Ein Schreinergehilfe rumpelte mit seinem Karren in den Hof, und Lanz trug die einzelnen Teile in den Schuppen, der in einer wenig beachteten Ecke des Gevierts stand. Dann ging er zurück in die Wohnung, um sich für einen Besuch fertig zu machen.
Er reinigte seine Hände von Holzspänen, zog einen dunkelblauen Anzug mit Halstuch an und kämmte sich die Haare. Ein wenig Duftwasser, damit er angenehm auffiel, dann verließ er das Haus. In einem Blumengeschäft kaufte er ein putziges kleines Bouquet aus Winterblumen und bestieg eine Elektrische.
Die Fahrt zum Alser Grund durchlebte er in der Vorfreude auf seine künftigen Pläne.
Am Anmeldetresen der Landesirrenanstalt wurde er nach seinen Wünschen gefragt.
„Mein Name ist Johann Pawalet. Ich möchte Maria Habermann besuchen. Sie ist meine Mutter.“
IV
Luise von Schattenbach betrachtete schweigend den zusammengekrümmten, zitternden Körper vor sich. Von dem kleinen aufsässigen Julius war nicht mehr viel übrig. Nur noch ein zerschundenes, frierendes Häuflein Elend, das sich einbildete, sein Tod sei ein erotisches Erlebnis. Luise wusste, dass alles in Julius danach gierte, ihr zu gehören. Der schäbig gekleidete Bursche hätte jedes Strohhälmchen auf dem Boden der Remise mit dem Mund aufgeklaubt, wenn sie es ihm befohlen hätte. In diesem Moment belustigte sie diese jämmerliche männliche Eigenart jedoch nicht wie sonst, nein, es ermüdete sie. Eine Sekunde lang sah sie mit seltsamer Klarheit die absolute Leere des Augenblicks und wusste nicht mehr, warum sie überhaupt hier stand.
Seufzend setzte sie sich auf den Rand des Strohballens und fuhr Julius abermals an: „Du ahnungsloser Dummkopf! Du glaubst wohl, ich bin gekommen, um dir eine Gutenachtgeschichte zu erzählen?“
Julius riss die Augen auf. Der ernüchterte Ausdruck darin erheiterte Luise so sehr, dass sie ein bitteres Lachen ausstieß. „Was schaust du denn so enttäuscht drein?“
Julius musterte sie verwirrt.
„Sag mir was du gerade gedacht hast“, verlangte sie.
„Ich habe gedacht, dass Sie mich …“
„Was? Töten? Glaubst du vielleicht, ich mache mich unglücklich wegen dir?“
In Julius’ Gesicht tobte ein Kampf widerstreitender Gefühle. Angst, Unruhe, Schmerz. Und dann waren da die Anzeichen einer völlig absurden Lust. Wie kann der Kerl jetzt an etwas Lustvolles denken, dachte sie verärgert und hätte Julius am liebsten eine Ohrfeige gegeben, damit er aufwachte.
Unvermittelt stand sie auf und eilte zum Tor der Remise. Sie schloss die beiden schweren Holzflügel und sperrte den kalten Wind aus und alle anderen Dämonen, die an diesem Abend dort draußen ihr Unwesen trieben. Als sie sich Julius wieder näherte, sah sie in seinem Gesicht Erleichterung und diese Enttäuschung, die sie so erboste.
„Hast du eine Ahnung, was von dir übrig bleiben würde, wenn ich das täte, worauf du so albern hoffst?“, zischte sie.
„Nichts“, stellte Julius fest. Seine Stimme war so dünn wie das Häutchen einer Zwiebel.
„Du sagst es. Warum siehst du dann aus wie eine enttäuschte Jungfrau?“
Julius zuckte ein wenig zusammen unter ihrem Zorn.
Na also, dachte Luise. Das war ihr allemal lieber als der sehnsüchtige Glanz in seinen Augen und der schlaffe Ausdruck seines Mundes. Sie setzte sich wieder neben ihn auf den Strohballen.
„Hör mir gut zu, Julius.
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