Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
arbeiten.“
„In einem Tempel, den Sie entweiht haben!“, zischte Julius.
Der Hofrat kicherte. „Ja, das fand dein Vater wohl auch. Er war ein undankbarer Mensch. Durch mich und Kinsky hatte er eine angenehme Stelle, Geld und Sicherheit. Und was macht der irrsinnige Kerl? Er redete von Gewissen und Verantwortung, obwohl er den Kaiser gehasst hat!“
Er erhob sich ruckartig und baute sich wieder vor seinem Gefangenen auf.
„Wir haben keines dieser Bilder beschädigt. Die Originale sind immer noch da. Nur eben nicht mehr in Wien. Kein einziger Rubens, kein Tizian und auch sonst kein alter Meister ist je unsachgemäß behandelt worden.“ Er stach mit dem Zeigefinger in Julius’ Richtung. „Worin besteht also unser Verbrechen? Gut, wir haben ein paar Bilder aus dem Kunsthistorischen Museum durch Fälschungen ersetzt. Aber wir haben nie ein Verbrechen an der Kunst an sich begangen. Was ist so verwerflich daran, Kunst zu verkaufen, die einem Kaiserhaus gehört, das sich einen Dreck um diese Schätze schert? Du hättest Franz Joseph sehen müssen, als er zur Einweihung des Museums kam. Der Mann versteht so wenig von Kunst wie du und ich vom Kinderkriegen. Er ist ein Banause ohne jeden Sinn für die Alten Meister. Ihm war nur daran gelegen, vor seinem Volk zu protzen und seine Schätze standesgemäß zu präsentieren. Dem Kaiser bedeuten diese Gemälde nur etwas als Wertgegenstände, nicht als Kunstwerke!“
Der Hofrat hatte sich dermaßen ereifert, dass ihm Spucketröpfchen von den Lippen spritzten. Dann schien er sich zu besinnen und wurde etwas ruhiger. Seine Stimme wurde belehrend. „Weißt du, die Kunstschätze sind seit der Geburt der modernen Museen nicht mehr reine Repräsentationsgegenstände. Sie sind nicht mehr so eng mit der Kirche oder dem Hof verknüpft. Seit der Habsburgische Kunstschatz im 18. Jahrhundert aus der Stallburg ins Obere Belvedere verlagert wurde, fort vom Umfeld des Hofes, hat sich das ganze Bewusstsein zur Kunst verändert. Die Gemälde gehören zwar den Habsburgern, aber nicht mehr nur noch ihnen allein. Sie sind in öffentliche Bildungseinrichtungen übergegangen, die jeder besichtigen kann. Und wenn du mich fragst, dann empfindet Franz Joseph das als Schmähung. Er nimmt es hin, weil die Zeiten sich geändert haben. Aber insgeheim wurmt es ihn. Er hat das Museum seit der Eröffnung nie wieder betreten!“
„Und die Menschen?“, fragte Julius. „Bestehlen Sie nicht die Menschen, die ein Recht auf dieses Kulturgut haben? Ihr belügt sie, indem ihr ihnen Fälschungen vorsetzt!“
Schattenbach verzog angewidert das Gesicht. „Ach, das ist doch Unsinn! Was schert es die Besucher, ob der Rubens echt ist oder nicht, wenn sie es nur glauben! In ein paar Jahrzehnten werden Wissenschaftler kommen und den Schwindel aufdecken. Dann lebe ich längst nicht mehr und Kinsky und alle anderen Beteiligten auch nicht. Ich habe eine wunderbare Möglichkeit gefunden, dem dummen Kaiser zu beweisen, wie unfähig er ist. Er merkt seit zehn Jahren nicht, dass viele Angestellten des Kunsthistorischen Museums von mir bezahlt werden und dass unser Restaurator blind ist, denn Kittelberger hat bis jetzt nichts bemerkt.“
„Es ist aber nicht im Sinne eines Museums, dass so etwas passiert!“, sagte Julius und merkte gleichzeitig, wie albern und leer seine Worte klangen. Er kam sich vor wie eine Nonne, die ein halbnacktes Liebespaar im Klostergarten entdeckt.
Der Hofrat machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: „Ach, damit ist mir dein Vater auch immer gekommen. Mit dem Betrug an den Menschen. Mit der Vergewaltigung der Kunst … oho! Er war ein Idealist, und ein versoffener noch dazu.“
„Und deswegen musste er sterben“, stellte Julius fest. Seine Finger waren zu Eisklumpen erstarrt; er hatte überhaupt kein Gefühl mehr darin.
Der Hofrat starrte ihn schnaufend an und nickte.
„Er war eine zu große Gefahr für das Geschäft. Ich habe mir lange überlegt, wie ich ihn dazu bringe, zu schweigen. Ich habe ihn aus dem Gefängnis geholt, obwohl er mir ans Leben wollte. Damit habe ich ihn an mich gebunden, denn ohne mich wäre er wieder auf der Straße gelandet. Dein Vater wusste das. Und weil er unbedingt wieder ein normales Leben führen wollte, hat er stillgehalten. Aber irgendwann hat er mir gedroht, dass er uns alle auffliegen lässt. Weil er dachte, das sei er der heiligen Kunst schuldig.“
Julius starrte den Hofrat immer noch fassungslos an. So einfach war das also gewesen.
„Ich
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