Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Du hast dich durch deine dumme Neugierde in eine sehr ungute Situation gebracht, und ich habe keine Ahnung, wie ich dir da wieder heraushelfen soll.“
Julius sah sie verdutzt an. „Warum sollten Sie mir heraushelfen wollen?“
Luise seufzte. „Verstehst du das denn nicht? Glaubst du nicht, es ist an der Zeit, sich von ihm loszusagen?“
„Von wem?“
„Von meinem ruhmreichen Gatten. Ich habe es satt, für ihn die böse Zauberin zu spielen, die für ihn die unliebsamen Elemente von der Klippe stößt.“
„Aber er hat gerade behauptet, dass Sie meinen Tod wünschen“, sagte Julius und runzelte verständnislos die Stirn.
Luise verzog das Gesicht. „Ah, und darauf hast du dich gefreut, du dummer kleiner Junge, was?“
Unwillkürlich musste sie lächeln. In einer anderen Situation, unter anderen Umständen hätte sie Julius gern gesagt, was in diesem Moment in ihr vorging. Dass sie sich insgeheim schämte, weil sie den Tod dieses abgemagerten Hahns gewünscht hatte. War Julius Pawalet wirklich so eine große Bedrohung für sie?
„Ich wollte deinen Tod, Julius. Ich habe mir dein Sterben in grellen Farben vorgestellt, und es hat sich gut angefühlt. Du fragst dich, warum ich mir das gewünscht habe?“
Sie bohrte ihren Blick in seine Augen und wartete auf das zaghafte Nicken.
„Du hast mich gedemütigt, weißt du noch?“, fuhr sie fort. „Du hattest recht. Ich habe mir eingebildet, ich könnte die Polizei in die Irre führen, um den Verdacht deines Freundes Rudolph Lischka von unserem Haus abzulenken. Er hätte dabei nämlich das Gleiche herausgefunden, was du entdeckt hast: Mein Gatte verdient unser Geld, indem er Bilder aus dem kaiserlichen Museum an alle Welt verscherbelt und Fälschungen zurücklässt.“
Sie zuckte die Schultern und lachte leise. Wenn sie so darüber nachdachte, war es, als wäre sie seit Jahren Teil einer völlig unmöglichen Geschichte. Aber diese Geschichte war ihr Leben. Luise fröstelte bei der Vorstellung, dass sie nichts anderes war als eine Schauspielerin, die das Spiel ihres Mannes spielte.
„Ich mag es nicht, wenn man mich demütigt, Julius. Denn für gewöhnlich demütige ich die anderen, wie du sicher herausgefunden hast. Aber du hast das Spiel durchschaut. Und ich habe begriffen, wie anstrengend es ist, ständig Fallen zu stellen.“
Ohne es zu merken, hatte sie angefangen, Julius’ Knie zu streicheln. Gedankenverloren sah sie in die Flammen der beiden Fackeln, die neben den Torflügeln tanzten. „Du hast mich daran erinnert, dass ich seit Jahren so tue, als würde ich dem Hofrat den Rücken stärken. Dabei hasse ich diesen verfressenen Speichellecker.“
Sie studierte Julius’ Gesicht. Er hatte den Kopf zurückgelegt und sah so überrascht aus, als hätte sie ihm eben eine Wahrheit offenbart, mit der er niemals gerechnet hätte.
„Da staunst du. Du brauchst nicht zu denken, dass ich dir mein Herz ausschütte, indem ich dir das sage. Ich sage es dir, weil ich es dir schuldig bin, mein kleiner Pawalet. Ich habe gedacht, dass du sterben musst, weil du eine Bedrohung für mein Leben bist, das, zugegeben, sehr außergewöhnlich ist. Ich lebe mitten in einer erzkatholischen, verklemmten und neidischen Stadt und habe den Status einer heimlichen Königin mit Hofstaat und Günstlingen. Und mit einem nimmermüden Hofnarren, dessen Rolle mein Gatte so vortrefflich ausfüllt. Ich liebe diesen Luxus und will nicht darauf verzichten. Deswegen habe ich mir eingebildet, dass deine Neugierde eine Gefahr für mich darstellt. Aber das war ein Fehler. Ich kann für meinen Luxus auch allein sorgen. Du wirst schon sehen: In ein paar Monaten wirst du über hundert verschiedene Ecken hören, dass ich mir mein eigenes kleines Imperium aufgebaut habe. Ohne Hofnarr.“
Sie lächelte Julius an, als spürte sie der merkwürdigen Freude nach, die diese Worte in ihr auslösten.
„Heißt das, ich werde in ein paar Monaten noch leben?“, fragte Julius vorsichtig.
Luise nickte langsam.
„Könnten Sie dann bitte dafür sorgen, dass ich dann meine Hände noch habe?“
Mit starren Fingern zerrte er an den Handschellen. Luise sah, dass die Haut dort eisgrau war. Sie griff in ihre Manteltasche und hielt Julius einen kleinen Schlüssel hin.
„Warum haben Sie einen Schlüssel?“, fragte er.
„Weil das meine Handschellen sind. Kranzer hat sie sich geborgt.“
Sie beugte sich vor und öffnete das Schloss.
Mit einem Aufstöhnen zog Julius die Hände aus den Fesseln und ließ sie in
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