Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Packen alter Zeitungen als Kopfkissen diente. Die Tür fiel mit einem dröhnenden Scheppern zu, als sollte sie sich nie wieder öffnen.
Julius sah sich in der Zelle um: ein Aborteimer, ein rostiges Abflussgitter, aus dem es stank wie aus einer Sickergrube, und ein weit oben in die Wand eingelassener Luftschacht – das war alles, was es hier gab.
Er ließ sich auf die Pritsche sinken und zog zitternd die Beine an. An der Decke warf eine nackte Glühlampe in einem Gitterkäfig trübes Licht auf ihn herab. Sein Herz raste, und kalter Schweiß lief an ihm herunter.
Dann hörte er die Stille. Jenseits des Rauschens in seinen Ohren schien es nichts mehr zu geben, was zu ihm drang. Nur eine kalte dröhnende Stille wie in längst vergessenen Katakomben. Nur ab und zu ertönte ein dumpfer Schlag; wahrscheinlich wenn sich eine der massiven Eisentüren hinter einem anderen Pechvogel schloss.
Bei jedem Schlag zuckte Julius zusammen. Eingehüllt in diese absolute Lautlosigkeit kam es ihm vor, als säße er in einem unendlich langsam tickenden Uhrwerk, das eine ihm unbekannte Zeit maß. Vielleicht würde er durch seine Räder irgendwann nach draußen befördert werden. Vielleicht würde ihn einer der nächsten Schläge zermalmen.
Julius wusste nicht, was ihn erwartete. Er hatte keine Ahnung, wie in Wien mit seinesgleichen verfahren wurde. Er wusste nur, dass er vom Erdboden verschluckt war.
Als er, den Kopf auf die Zeitungen gebettet, versuchte, Schlaf zu finden, dachte er an den erstarrten Mund und an die aufgerissenen Augen der Medusa, die jetzt in einer kleinen Kiste an einen unbekannten Ort gebracht wurde.
Als Julius wieder aufwachte, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Auf dem Boden neben der Zellentür standen eine Blechschüssel mit etwas, das aussah wie Erbrochenes, ein Krug Wasser und ein steinhart aussehendes Stück Brot.
Sein Kopf schmerzte immer noch und fühlte sich dumpf an, so als wäre sein Gehirn ein mit Wasser vollgesogenes Stück Watte. Alles war still. Nicht einmal mehr das Echo der Türen war zu hören.
Julius schleppte sich zur Tür und holte den Blechnapf und das Brot und den Krug und setzte sich wieder auf die Pritsche.
Der Inhalt, eine Art Eintopf, war kalt, schmeckte aber nicht so unangenehm, wie er aussah. Ohne über seine Lage nachzudenken, aß er den Eintopf und das Brot und spülte alles mit dem abgestandenen Wasser herunter.
Danach fühlte er sich erstaunlich gestärkt und wohl. Doch dann ging auf einmal die Lampe an der Decke aus. Die Schwärze, in der Julius mit einem Schlag saß, war so absolut wie das Ende der Welt. Panik kroch in ihm hoch, und er verharrte minutenlang völlig erstarrt. Vielleicht war es nur ein Fehler in der Elektrizität des Gefängnisses und das Licht würde gleich wieder angehen, dachte er. Doch die Finsternis umgab ihn wie ein Grab. Er konnte nichts erkennen, nicht die Hand vor Augen, und auch keine Umrisse.
Er tastete nach dem Rand seiner Pritsche und stand auf. Seine Beine fühlten sich an wie verkochtes Gemüse. Er taumelte in Richtung der Tür und begann dagegenzuhämmern. Er schrie.
Da erklang von draußen der verzerrte Ruf eines Mannes: „Halt’s Maul und schlaf!“
Da begriff Julius. Es war Nacht. Und das Gefängnis vergeudete keinen Strom an seine Gäste. Wie lange dauerte so eine Nacht in einer Zelle? Er tastete sich zurück zur Pritsche und legte sich wieder hin. Sein Körper pochte, und in seinem Innern breitete sich etwas Schreckliches aus. Es war wie ein Schmerz, den man sofort abstellen möchte, aber Julius wusste, dass er nun lange Zeit so in der Dunkelheit zubringen musste. Das alles wäre nicht so schlimm gewesen, wenn er hätte schlafen können. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Er fühlte sich erstaunlich ausgeruht und frisch und voller Tatendrang. Er dachte Inspektor Lischka. Vielleicht schaffte er es, Julius’ Unschuld zu beweisen. Aber was, wenn dieser Leutnant Tscherba seinen ehemaligen Kollegen nicht weiterermitteln ließ, wenn er ihn daran hinderte, den Hofrat zu suchen? Die Ungewissheit quälte ihn so sehr, dass er wieder aufsprang und rastlos in der dunklen Zelle herumlief. Vielleicht dient diese Isolation in der Finsternis auch dazu, dass ich etwas zugebe, was ich nicht getan habe, dachte Julius.
Erschöpft legte er sich wieder auf die Pritsche und überlegte fieberhaft, wie er sich verteidigen würde, wenn man ihn denn ließe. Irgendwann fiel er in einen dünnen, unruhigen Schlaf.
Es war die Glühbirne, die ihn
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