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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Hasler
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Gefängniskleidung.
    In diesem Moment erschien in einer Tür ein bekanntes Gesicht. Leutnant Tscherba bedeutet dem Wachmann, Julius zu ihm zu bringen. Mit verkniffenem Gesicht stand der Leutnant zwischen zwei Uniformierten und sah so ungeduldig und verärgert aus, als stünde er in einer langen Schlange vor einer öffentlichen Bedürfnisanstalt.
    Sein Bewacher nahm Julius die Handschellen ab und führte ihn zu Tscherba. Der packte ihn am Arm und entließ den Rangniederen mit einer ungeduldigen Geste. Der Leutnant zog Julius in das Gebäude und schloss eilig die Tür. Sie standen in einem engen Flur vor einer steinernen Treppe.
    „Was soll das alles!“, fuhr Julius ihn an. Er wollte sich losreißen, doch der Griff des Leutnants war wie eine Stahlklammer. Tscherba schien kurzatmig zu sein. Auf seiner Stirn pochte eine Ader, und sein Blick war gehetzt. Seltsam, dachte Julius, als Tscherba ihn vorgestern Nacht in Gewahrsam genommen hatte, war dessen Miene noch voller Selbstsicherheit und Überlegenheit gewesen. Tscherba spießte Julius förmlich auf mit seinen kühlen Augen, die an diesem Morgen starr waren wie bei einem toten Fisch.
    „Wenn es nach mir ginge, müsste man sie in eine Zelle stecken und Ihnen den Prozess machen, und dann ab an den Galgen!“, zischte der Leutnant.
    Julius schöpfte Hoffnung. „Aha“, sagte er mit mühsam gespielter Ruhe. „Dann geht es also nicht nach Ihnen? Nach wem denn dann?“
    „Sparen Sie sich Ihre frechen Fragen, Pawalet! Sie können sich bestimmt vorstellen, warum Sie hier sind.“
    Julius schüttelte in ehrlicher Ahnungslosigkeit den Kopf. Der Leutnants stieß ein ärgerliches Schnauben aus und öffnete eine Seitentür, die in die prunkvolle Eingangshalle des Museums führte.
    „Kommen Sie mit. Und wehe, wenn Sie mir vorgestern Nacht ein Lügenmärchen erzählt haben. Gnade Ihnen Gott, wenn das alles Unsinn war!“
    Julius verstand immer noch nicht. Er ging neben dem Leutnant die Marmorstufen hinauf und hatte kaum Augen für den erhabenen Aufgang. Plötzlich kam es ihm vor, als hätte er diesen Teil des Museums noch nie betreten. Die Zwickelbilder im Stiegenhaus wirkten seltsam abweisend, obwohl sie von Gustav Klimt gemalt worden waren. Julius bemerkte, dass sie ihm heute zum ersten Mal auffielen. Die golddurchwirkten Schmuckornamente und die rote Marmorbalustrade neben der Treppe schienen Elemente einer Welt zu sein, der er nie angehört hatte. Was für einen Anblick musste er bieten, in seiner Sträflingskleidung neben dem hochdekorierten Leutnant und unter den erhabenen Fresken.
    „Vielleicht wollen Sie mir erklären, warum ich hier bin!“, forderte er und blieb mitten auf der Treppe stehen. Der Leutnant schnaubte verärgert.
    „Warum Sie hier sind? Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, Pawalet! Wahrscheinlich muss ich für meine Dummheit, Ihnen überhaupt zugehört zu haben, teuer bezahlen.“
    „Aber warum?“
    „Das werden Sie gleich sehen. Ich bin ein Trottel, dass ich mein Amt und meine Verantwortung so ernst nehme.“
    Julius verstand nicht, was Tscherba meinte. Er war so verwirrt, dass ihm langsam schwindelig wurde. Er hatte an diesem Morgen nichts zu essen bekommen, und er fühlte sich schwach.
    „Jetzt kommen Sie schon weiter, damit ich es endlich hinter mir habe!“, forderte der andere ihn auf.
    Julius erkannte, dass Leutnant Tscherba nicht bereit war, sich zu erklären. Er folgte ihm weiter die Treppe hinauf. Da hörte er in den Weiten der Säle Stimmengewirr. Kinskys weinerliche Stimme war deutlich herauszuhören.
    Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Julius’ Magen aus. Tscherba bog nicht nach links ab in Richtung der Säle, sondern drehte oben an der Treppe um und führte Julius in Richtung der prunkvollen marmornen Rotunde. Von dort konnte man auf das Marmormosaik im Erdgeschoss blicken. Ein paar Meter von der Einfassung entfernt lag der Eingang zum Rubenssaal. An der Tür erkannte Julius schon wieder Uniformierte, die die Türen flankierten und ihnen mit blicklosem Gesicht entgegenstarrten. Ihm war immer noch nicht klar, was diese seltsamen Sicherheitsvorkehrungen bedeuten sollten.
    Sie betraten den Saal mit der Nummer XV.
    „Nehmen Sie gefälligst Haltung an!“, zischte Tscherba und versetzte Julius einen Stoß in den Rücken.
    Die Blicke der Anwesenden richteten sich auf ihn, und der Leutnant sagte mit lauter, tonloser Stimme: „Der Zeuge Julius Pawalet ist eingetroffen!“
    Julius erkannte Direktor Gustav Kinsky, der, die

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