Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Schauen S’, ich könnt’ zum Beispiel der Mörder sein!“
Der Mann stutzte, dann lachte er und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie? Also wenn Sie der Mörder sind, dann lass ich mich zu den Affen sperren!“
Lanz stimmte laut in das Lachen des Mannes ein. Er musterte das rot gefrorene Gesicht des Rauchenden und dankte dem Schicksal, dass es seinen Weg immer wieder mit gutgläubigen, dummen Menschen und damit Mittätern wider Willen zu säumen schien.
„Wann haben S’ denn Feierabend?“, fragte er den Mann.
„Am Abend. Nachts ist niemand hier. Da wird das Tor verriegelt. Und die Bauarbeiten gehen eh erst weiter, wenn’s aufhört, so arg zu schneien. Sind auch nicht zu beneiden, die armen Männer.“
Lanz nickte mit ernstem Gesicht. Die Glut seiner Zigarette verbrannte ihm beinahe die Finger, und er warf sie in den Schnee. Der Wächter blickte kurz auf die Zigarettenkippe, deren Glut mit einem leisen Zischen erlosch, zog noch ein letztes Mal gierig an seiner und warf sie hinterher.
„Na, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Jahreswechsel“, sagte er zu dem Mann und drückte ihm die Hand. „Und halten S’ schön weiter Ausschau.“
„Mach ich. Der Mistkerl – wenn der hier noch mal vorbeikommt, der entwischt mir nicht!“
„So ist’s recht“, antwortete Lanz und legte die Hand an die Mütze.
VIII
„Julius Pawalet, Sie sind hier, weil Sie die Möglichkeit erhalten sollen, sich zu den ungeheuerlichen Vorwürfen zu äußern, die Sie gegen die Verantwortlichen der Galerie des allerhöchsten Kaiserhauses vorgebracht haben. Das Kunsthistorische Museum steht in diesen Tagen im Kreuzfeuer der Kritik wegen einem irrsinnigen Mörder, der die herrlichen Werke dieses Hauses zu schrecklichen Schandtaten missbraucht. Und nun erreicht den Hof zu Wien der Vorwurf, dass hinter den Mauern dieses Museums auch schändliche Fälschungen angefertigt werden, ja dass sogar die wertvollsten und unersetzlichen Originale Alter Meister aus dem Besitz der kaiserlichen Familie aus dem Museum entfernt und veräußert wurden. Damit beschuldigen Sie niemand Geringeren als den vom Kaiser persönlich ins Amt gehobenen Verantwortlichen Dr. Gustav Kinsky des Kunstdiebstahls. Ferner beschuldigen Sie den hervorragend beleumundeten Hofrat Viktor von Schattenbach, verantwortlich für diese Vorgänge zu sein. Dies sind Beschuldigungen, die sich ferner gegen den Hof selbst richten, und unsere allerhöchste Majestät, der Kaiser, ist entschlossen, diese absonderlichen Geschehnisse vollständig aufzuklären.
Durch den Rapport des treuen Hofsicherheitsinspektors Leutnant Tscherba kamen Ihre hartnäckigen Anschuldigungen dem Kaiser zu Ohren, der dieser Sache hier und heute auf den Grund gehen wird. Sie sind also vorgeladen worden, um sich zu erklären oder für immer zu schweigen.“
Der schwarz gekleidete Mann, der vor Julius Aufstellung genommen hatte, ließ die kaiserliche Depesche sinken und faltete sie wieder zusammen. Er knallte die Hacken zusammen und wandte sich um, um wieder seinen Platz neben Franz Joseph einzunehmen, der mit teilnahmslosem Gesicht dasaß und ein Gemälde hinter Julius zu betrachten schien.
Julius brach der Schweiß aus. Ungläubig starrte er auf dieses Untersuchungskomitee und schluckte hart an der wüstenartigen Trockenheit, die sich in seinem Mund ausgebreitet hatte.
Das hast du jetzt davon, schalt er sich. Und plötzlich wusste er auch, was Leutnant Tscherba auf der Treppe zu den Kunstsälen gemeint hatte.
…Und wehe, wenn Sie mir vorgestern Nacht ein Lügenmärchen erzählt haben. Gnade Ihnen Gott, wenn das alles Unsinn war … Wahrscheinlich muss ich für meine Dummheit, Ihnen überhaupt zugehört zu haben, teuer bezahlen.
Julius hatte dem Leutnant während der ganzen nächtlichen Rückfahrt nach Wien in den Ohren gelegen, dass man veranlassen sollte, die Kutsche des Hofrats zu verfolgen. Er hatte ihn angefleht, ihm zu glauben und ihm in einem Anfall von Verzweiflung alles offenbart. Und das, obwohl die steinerne Miene des Leutnants keinen Anlass zu der Hoffnung gab, dass der ihm überhaupt zuhörte. Tscherba hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt, sondern Julius nur mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung angesehen. Mitleid mit einem offensichtlich geistesverwirrten Irren und Verachtung für einen mittellosen Habenichts, der solche ungeheuerlichen Beschuldigungen gegen Mitglieder des Hofes erhob.
Aber anscheinend hatten Julius’ Worte doch Zweifel bei Tscherba gesät. Und nun
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